Die umstrittene Einführung eines Präsidialsystems in ihrer Heimat hat Türken in Baden-Württemberg wie in ganz Deutschland mobilisiert. In Stuttgart bildeten sich am Sonntag - dem letzten Tag der Abstimmung - bisweilen längere Warteschlangen am Wahllokal des Generalkonsulats. Vor dem Ende der Abstimmung am Sonntagabend zeichnete sich eine rege Beteiligung der in Deutschland registrierten gut 1,4 Millionen Wahlberechtigten ab. In Baden-Württemberg waren 233 000 Menschen wahlberechtigt.
Auch in Karlsruhe war die Stimmabgabe möglich.
Bis zum Samstag gaben laut staatlicher Nachrichtenagentur Anadolu 39,6 Prozent von ihnen ihre Stimme ab. Zum Vergleich: Bei der türkischen Parlamentswahl im November 2015 waren es knapp 41 Prozent gewesen. Im Bundesgebiet hatten 13 Wahllokale geöffnet. Die Türkische Gemeinde in Deutschland rechnete mit einem knappen Ausgang der hiesigen Abstimmung.
Die Türken in Deutschland konnten zwei Wochen lang bis zum Sonntagabend über das umstrittene Präsidialsystem abstimmen, das Staatschef Recep Tayyip Erdogan anstrebt. Es würde seine Macht deutlich stärken. In der Türkei ist das Referendum für den 16. April (Ostersonntag) anberaumt. Verbote von Wahlkampfauftritten mehrerer türkischer Minister im badischen Gaggenau und anderen deutschen Städten vor der Abstimmung belasten die Beziehungen zwischen Ankara und Berlin bis heute schwer.
Zum Ausgang der Abstimmung in Deutschland sagte der in Stuttgart ansässige Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, der Deutschen Presse-Agentur: «Auch wenn einem das Bild vermittelt wird, es gibt viele Ja-Sager, rechne ich mit keinem eindeutigen Ergebnis.» Er ging von einer höheren Wahlbeteiligung als bei der türkischen Parlamentswahl 2015 aus. «Viele Menschen interessiert, wie die Türkei in Zukunft regiert wird - nicht, von wem sie regiert wird.» Allgemein wird mit einem engen Ausgang des Referendums gerechnet. Für Erdogan sind daher die Stimmen der im Ausland lebenden Türken wichtig - zumal diese in Deutschland verstärkt seine AKP unterstützen.
Die Oppositionspartei CHP wertete den Ablauf der Abstimmung in Deutschland positiv. Zwar habe es vereinzelt Versuche der Einschüchterung von Gegnern des Präsidialsystems gegeben und auch subtile Versuche von Einflussnahmen der Befürworter etwa in Moscheen. «Im Großen und Ganzen ist aber alles fair abgelaufen», sagte Kazim Kaya, der Deutschland-Sprecher der CHP, der Deutschen Presse-Agentur in Mannheim.
Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) äußerte sich in einem Zeitungsinterview kritisch über die Teilnahme von Türken in Deutschland am Türkei-Referendum. «Ich persönlich bin dafür, dass zum Beispiel nach zehn Jahren im Ausland das Wahlrecht im Heimatland verfällt. Dann könnten viele in Deutschland lebende Türken nicht mehr am türkischen Referendum teilnehmen», sagte sie der «Heilbronner Stimme» und dem «Mannheimer Morgen» (Samstag).
Aras hat selbst türkische Wurzeln, aber keinen Pass des Landes mehr. Sie darf deshalb nicht abstimmen. «Man sollte da wählen, wo man lebt», sagte sie. «Ehrlich gesagt finde ich es schwierig, von Deutschland aus über die Verhältnisse in der Türkei zu entscheiden», meinte sie. «Wer für das Referendum stimmt, entscheidet sich für die Einschränkung der Freiheitsrechte dort und genießt hier genau diese Rechte.» (DPA/LSW)