Der Bundesgerichtshof (BGH) stärkt besonders schutzwürdigen Mietern den Rücken, die sich gegen ihre Kündigung wehren. Bringen sie schwere gesundheitliche Probleme oder gar Lebensgefahr vor, müssen Gerichte dem besonders sorgfältig nachgehen. Bevor ein Richter der Räumungsklage stattgibt, hat er sich sehr genau anzuschauen, welche Folgen der Umzug für den Betroffenen haben könnte und wie wahrscheinlich es ist, dass diese eintreten. Das geht aus einem am Mittwoch verkündeten Urteil hervor.
Die Karlsruher Richter hatten über einen Streit aus Sinzheim bei Baden-Baden zu entscheiden. Dort will eine junge Familie mit zwei kleinen Kindern ihr Haus aus Platzgründen für sich allein und hat einem betagten Ehepaar im Erdgeschoss die Wohnung gekündigt.
Eigenbedarf ist prinzipiell ein legitimer Kündigungsgrund. Eine Sozialklausel im Mietrecht (§ 574 BGB) sieht aber vor, dass Mieter unter Umständen trotzdem nicht weichen müssen - nämlich dann, wenn der Umzug eine nicht zu rechtfertigende Härte bedeuten würde. Bei der Abwägung sind auch die Vermieter-Interessen zu berücksichtigen.
Unter Verweis auf diese Klausel wehren sich der 87 Jahre alte Mann und seine 78-jährige Frau gegen die Räumungsklage. Sie sagen: Zumindest dem Mann, der an einer beginnenden Demenz leide, sei kein Wohnungswechsel mehr zuzumuten. Vor dem Amts- und Landgericht hatten sie keinen Erfolg. Mit dem BGH-Urteil gibt es jetzt neue Hoffnung.
Denn das Landgericht Baden-Baden ist nach Auffassung des Senats vorschnell zu dem Schluss gelangt, dass die Vermieter-Interessen hier Vorrang haben. Die Vorsitzende Richterin Karin Milger kritisierte in der Verhandlung beispielsweise, dass es gar keinen Ortstermin gegeben habe. Ob die Wohnsituation der Familie wirklich katastrophal beengt sei oder es nur um mehr Komfort gehe, lasse sich deshalb gar nicht sagen. Das Landgericht muss sich jetzt noch einmal gründlich mit dem Fall beschäftigen und dann neu entscheiden. Solange können die Mieter erst einmal in ihrer Wohnung bleiben. (Az. VIII ZR 270/15)
Der Deutsche Mieterbund nannte die Entscheidung «ein gutes Urteil». «Letztlich muss das Mieterrecht auf körperliche Unversehrtheit dem Vermieterinteresse auf freie Lebensgestaltung in derartigen Fällen vorgehen», erklärte Bundesdirektor Lukas Siebenkotten. (DPA)