Firmen dürfen Kopftücher am Arbeitsplatz nach zwei aktuellen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs verbieten. Voraussetzung ist aber, dass weltanschauliche Zeichen im Unternehmen generell verboten sind und dass es gute Gründe gibt. Das urteilte der Europäische Gerichtshof am Dienstag in Luxemburg (Rechtssachen C-157/15 und C-188/15). Allein der Wunsch eines Kunden, dass keine Frau mit Kopftuch für ihn Leistungen erbringt, genügt nicht für ein Verbot. Der Zentralrat der Muslime reagierte enttäuscht.
Allerdings dürfte sich in Deutschland nach Einschätzung von Juristen mit den Richtersprüchen nicht viel ändern. Kopftücher am Arbeitsplatz sind im Prinzip erlaubt, Einschränkungen aber möglich. Die Regeln für Privatunternehmen seien mit dem EuGH-Urteil indes klarer geworden, erklärte die Arbeitsrechtlerin Doris-Maria Schuster von der Kanzlei Gleiss Lutz.
Bei staatlichen Arbeitgebern hat bereits das Bundesverfassungsgericht die Latte hoch gelegt. «In den Urteilen zu Lehrern oder Kita-Erziehern hat das Bundesverfassungsgericht gesagt, dass eine abstrakte Gefahr für Schulfrieden oder die staatliche Neutralität für ein Verbot nicht ausreicht», sagte Verena Braeckeler von der Kanzlei Simmons & Simmons. «Es müsste zum Beispiel Missionierungsversuche, also eine konkrete Gefährdung, geben.» Kirchliche Arbeitgeber haben etwas mehr Spielraum bei Verboten.
Anlass der EuGH-Urteile sind Klagen muslimischer Frauen. In Belgien war die Rezeptionistin Samira A. nach drei Jahren entlassen worden. Zuvor hatte sie angekündigt, das Kopftuch künftig auch während der Arbeitszeit in dem Sicherheitsunternehmen tragen zu wollen. Das widersprach der internen Arbeitsordnung, die sichtbare Zeichen von «politischen, philosophischen oder religiösen Überzeugungen» verbot.
Unter diesen Umständen stelle ein Kopftuchverbot keine unmittelbare Diskriminierung dar, erklärten die Luxemburger Richter. Dabei wird jemand zum Beispiel wegen seiner Religion schlechter behandelt, was verboten ist.
Allerdings könne es um «mittelbare Diskriminierung» gehen, also eine scheinbar neutrale Regelung, die aber Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung besonders benachteiligt. Dies könne jedoch gerechtfertigt sein, etwa um Neutralität gegenüber Kunden zu wahren, so die Richter. Vorgaben, die nur Angestellte mit Kundenkontakt beträfen, seien in jedem Fall in Ordnung. Ansonsten sei etwa wichtig, ob die Regelungen auch konsequent umgesetzt würden.
Zum Fall aus Frankreich stellten die Richter klar, dass allein der Wunsch eines Kunden, Leistungen nicht von einer Frau mit Kopftuch erbringen zu lassen, kein Verbot rechtfertige. Asma B. verlor ihren Job als Software-Designerin, nachdem ein Kunde sich beschwert hatte, weil sie mit Kopftuch arbeitete. Hier sei unter anderem noch zu klären, ob das Tragen des Tuchs gegen unternehmensinterne Regelungen zu weltanschaulichen Zeichen verstoße, so die Richter. Die konkreten Einzelfälle müssen Gerichte in Belgien und Frankreich entscheiden.
Der Zentralrat der Muslime in Deutschland zeigte sich unzufrieden über die Urteile, die er als «Abkehr von verbrieften Freiheitsrechten» wertete. «Wenn Frauen sich zwischen ihrer religiösen Überzeugung und ihrer beruflichen Tätigkeit entscheiden müssen, sind die Diskriminierungsverbote, die Gleichbehandlungsgebote und die individuellen Freiheitsrechte, die das Fundament europäischer Verfassungen und Gesetzgebungen verkörpern, nicht das Papier wert, auf dem sie stehen.»
Der migrationspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Volker Beck, sagte, diese Urteile seien «kein gutes Signal für Freiheit und Pluralität». «Entscheidend ist nicht, was ein Mensch auf dem Kopf trägt, sondern was er im Kopf hat», fügte er hinzu. Die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Christine Lüders, warnte: «Die Arbeitgeber in Deutschland sollten sich in Zukunft gut überlegen, ob sie sich durch Kopftuch-Verbote in ihrer Personalauswahl einschränken wollen.»