Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan setzt unvermindert auf Konfrontation mit Europa - und greift jetzt auch Kanzlerin Angela Merkel persönlich an.
In einem Interview des türkischen Senders A Haber bezichtigte er die Kanzlerin am Montag der Unterstützung der kurdischen Arbeiterpartei PKK. «Verehrte Merkel, Du unterstützt Terroristen», sagte Erdogan. Deutschland gehe nicht gegen die PKK vor, obwohl es diese zur Terrororganisation erklärt habe.
In Berlin bezeichnete Regierungssprecher Steffen Seibert Erdogans Vorwurf als «erkennbar abwegig». «Die Bundeskanzlerin hat nicht die Absicht, sich am Wettlauf der Provokationen zu beteiligen. Sie macht das nicht mit», erklärte Seibert.
In der Krise um Wahlkampfauftritte türkischer Minister in Europa hatte Merkel zuvor den Niederlanden ihre «volle Unterstützung und Solidarität» zugesichert. Sie kritisierte insbesondere Äußerungen Erdogans, der niederländische Regierungsmitglieder als «Nazi-Überbleibsel» bezeichnet hatte. Nazi-Vergleiche führten «völlig in die Irre», sagte Merkel. «Gerade mit Blick auf die Niederlande, die so gelitten haben unter dem Nationalsozialismus, ist das völlig inakzeptabel.»
Die türkische Regierung entzog niederländischen Diplomaten am Abend die Landeerlaubnis. Der Luftraum für Maschinen mit Diplomaten aus dem Land sei ab sofort gesperrt, sagte der stellvertretende Ministerpräsident Numan Kurtulmus. Gespräche auf höherer Ebene würden zudem ausgesetzt. Der niederländische Botschafter, der sich zurzeit im Ausland aufhalte, dürfe vorerst nicht in die Türkei zurückkehren.
Nach Anfeindungen aus Ankara hatten die Niederlande am Wochenende Auftritte des türkischen Außenministers Mevlüt Cavusoglu und der Familienministerin Fatma Betül Sayan Kaya in Rotterdam verhindert. Erdogan kündigte an, dass sich die Türkei wegen dieser «Verbote» an alle Instanzen, darunter den Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, wenden werde.
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz warf der türkischen Regierung vor, «internationale Beziehungen zum Gegenstand von Wahlkampagnen» zu machen. «Das halte ich vom Grundsatz für gefährlich», sagte er in Berlin. «Mein Appell an die türkische Regierung: Kümmert Euch um das Regieren Eures Landes.»
In der Türkei entscheiden die Wähler am 16. April in einem Referendum über die Einführung eines Präsidialsystems, das Erdogan eine noch größere Machtfülle bescheren würde. Wahlberechtigt sind auch Türken im Ausland.
Die Europäische Union und die Nato appellierten am Montag an alle Seiten, den Streit nicht weiter anzuheizen - dennoch blieben die Fronten zwischen Ankara und Den Haag verhärtet. Das türkische Außenministerium bestellte zum dritten Mal in drei Tagen den niederländischen Gesandten in Ankara ein.
Das Ministerium teilte mit, dem Diplomaten seien zwei Protestnoten übergeben worden. Darin forderte die Türkei eine förmliche schriftliche Entschuldigung der niederländischen Regierung und eine Untersuchung der Vorfälle, die gegen diplomatische Normen verstießen. Man behalte sich Entschädigungsforderungen vor.
Die niederländische Regierung pocht nach den Verbalattacken aus Ankara auf eine offizielle Entschuldigung. Vor allem die Beschuldigungen von Präsident Erdogan, der die Niederländer faschistisch und Nazis genannt hatte, müssten vom Tisch, sagte der sozialdemokratische Vizepremier Lodewijk Asscher im niederländischen Radio. «Es ist äußerst widerlich, dass ausgerechnet wir - mit unserer Geschichte - als Nazis beschimpft werden.» Die neutralen Niederlande waren im Zweiten Weltkrieg von 1940 bis 1945 von den Deutschen besetzt.
Die Niederlande und Deutschland verschärften nach den Turbulenzen vom Wochenende die offiziellen Reisehinweise für die Türkei. Touristen werden aufgefordert, sich von politischen Veranstaltungen und grundsätzlich von größeren Menschenansammlungen fernzuhalten.
Die türkische Polizei hatte am Wochenende die diplomatischen Vertretungen der Niederlande am Wochenende vollständig abgeriegelt. Die Sperren wurden am Montag aufgehoben, nicht aber die massive Polizeipräsenz.
«Die Europäische Union ruft die Türkei auf, auf überzogene Aussagen und Handlungen zu verzichten, die die Lage weiter zu verschlimmern drohen», erklärten EU-Nachbarschaftskommissar Johannes Hahn und die Außenbeauftragte Federica Mogherini in Brüssel. Die geplante Verfassungsreform in der Türkei gebe Anlass zu «schweren Bedenken», so die EU-Vertreter. Brüssel befürchtet, dass die geplanten Änderungen in der Türkei zu einer «übermäßigen Machtkonzentration» führen und die Unabhängigkeit der Justiz beeinträchtigen könnten. (DPA)