EU begibt sich auf schwierige Suche nach Zukunftsvision

Kanzlerin Merkel und der wiedergewählte EU-Ratspräsidenten Tusk sprechen während des EU-Gipfels in Brüssel. Foto: Geert Vanden Wijngaert
Kanzlerin Merkel und der wiedergewählte EU-Ratspräsidenten Tusk sprechen während des EU-Gipfels in Brüssel. Foto: Geert Vanden Wijngaert

Vor den wichtigen Wahlen in den Niederlanden und in Frankreich ringt die Europäische Union um Geschlossenheit. Mit Blick auf den Brexit suchten die 27 verbleibenden EU-Länder am Freitag in Brüssel eine gemeinsame Zukunftsvision. Doch der Ärger mit Polen und die Debatte um ein Europa verschiedener Geschwindigkeiten, bei dem einzelne Länder enger zusammenarbeiten können, reißen neue Gräben auf. Am 25. März will die EU in Rom ihre Ziele für die nächsten zehn Jahre formulieren.

Die Erklärung zum 60. Jahrestag der europäischen Gründungsverträge dürfte ruhig «selbstbewusst und optimistisch» sein, sagte Kanzlerin Angela Merkel zum Abschluss des Gipfels. In Brüssel habe Einigkeit geherrscht, dass die EU «bei allen Problemen, die wir haben, ein gelungenes Modell ist.»

 

Umstritten ist aber das auch von Merkel favorisierte Konzept eines Europas verschiedener Geschwindigkeiten. Einige Länder fürchteten dabei eine Trennlinie und einen «neuen Eisernen Vorhang zwischen Ost und West», berichtete EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.

Das sei aber keineswegs so gemeint. Die Einigkeit der künftig 27 EU-Staaten stehe über allem. Nur sollten die, die mehr machen wollten als andere, dazu die Möglichkeit haben. Auch EU-Ratspräsident Donald Tusk betonte: «Es ist klar aus der Diskussion, dass die Einigkeit der 27 das Wertvollste ist.»

 

Bedenken gibt es insbesondere in Osteuropa. So erklärte Polens Ministerpräsidentin Beata Szydlo nach dem Gipfel, ihr Land sei gegen eine Bildung elitärer Clubs in der Gemeinschaft. «Einem Europa verschiedener Geschwindigkeiten werden wir nicht zustimmen.»

 

Merkel betonte dagegen, das vorgeschlagene «Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten» solle nicht zu der Befürchtung führen, dass es «verschiedene Klassen von Europa» gebe. In der europäischen Familie habe jedes Familienmitglied Zugang zu den Projekten, müsse sich aber nicht beteiligen.

 

Luxemburgs Premier Xavier Bettel erklärte: «Ich bevorzuge zwei Geschwindigkeiten gegenüber gar keiner Geschwindigkeit - und im Augenblick stecken wir fest.» Der französische Präsident François Hollande räumte Probleme ein. «Es gibt Schwächen. Es gibt Schwierigkeiten. Und Europa hat gezeigt, dass es nicht in der Lage gewesen ist, Entscheidungen im richtigen Moment zu treffen», sagte er. «Also was muss die EU in den nächsten Jahren machen? Sie muss zeigen, dass sie einig ist und was die Werte sind.»

 

Den Vorwurf aus Polen, der Gipfel habe sich mit der Wiederwahl von Ratspräsident Donald Tusk am Donnerstag einem deutschen «Diktat» gebeugt, wies Merkel zurück. Entscheidend sei, dass 27 Mitglieder für Tusk gestimmt hätten. «Das sind 27 selbstbewusste Mitgliedsstaaten. Einer davon war Deutschland. 26 waren nicht Deutschland.» Der nationalliberale Pole Tusk war am Vorabend gegen die Stimme der nationalkonservativen Warschauer Ministerpräsidentin Szydlo gewählt worden. Diese reagierte vergrätzt.

 

Die anderen 27 EU-Staaten schlossen angesichts der polnischen Herausforderung die Reihen. Selbst im Kreis der engen Partner der Visegrad-Staaten Ungarn, Slowakei und Tschechien stand Polen isoliert da. Szydlo verhinderte am Ende gemeinsame Gipfel-Schlussfolgerungen, was aber keine konkreten politischen Auswirkungen hat. Stattdessen verständigten sich die anderen 27 EU-Staaten auf eine gemeinsame Abschlusserklärung.

 

«Ich gehe davon aus, dass das eine Episode bleiben wird», sagte der österreichische Bundeskanzler Christian Kern. Er rechne damit, «dass man wieder zum Verhandlungstisch zurückkommen wird», Polen habe die gleichen Interessen wie die übrigen Mitgliedsstaaten, etwa Fortschritte bei Sicherheit oder Wirtschaft zu erzielen. (DPA)