Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hat Kritik von Union und Arbeitgebern an den SPD-Vorschlägen für ein längeres Arbeitslosengeld zurückgewiesen. «Das ist eine Kritik von gestern», sagte Nahles nach der Vorstellung ihres Konzepts im SPD-Vorstand. Das Gremium billigte einstimmig die Pläne, die Nahles für Kanzlerkandidat Martin Schulz erarbeitet hat. Am 25. Juni will die SPD ihr Wahlprogramm auf einem Sonderparteitag in Dortmund auf den Weg bringen, wie Generalsekretärin Katarina Barley ankündigte.
Ein längeres Arbeitslosengeld wird dabei laut Nahles nur ein Teil der Vorschläge im Bereich Arbeit und Soziales sein.
Arbeitslose sollen länger Arbeitslosengeld I (ALG I) bekommen, wenn sie sich weiterqualifizieren. Union und Arbeitgeber hatten deshalb vor neuen Frühverrentungen gewarnt. Nahles entgegnete, vielmehr sollten etwa auch 60-Jährige in den Jobmarkt vermittelt werden. Sie warf Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und anderen Teilen der Union vor, sie wollten die Menschen länger bis zur Rente arbeiten lassen, sie aber nicht dazu befähigen. «Wer A sagt, muss auch B sagen.» Die Gesamtkosten für die Pläne bezifferte sie auf rund eine Milliarde Euro pro Jahr.
Sämtliche noch unter Ex-Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) gängigen Frühverrentungsprogramme seien abgeschafft worden, sagte Nahles. «Wir brauchen Menschen, die auch in der Mitte ihres Erwerbslebens aufbrechen, sich auch noch einmal einlassen auf neue Jobs.» Dafür müsse die Gesellschaft ihnen Respekt zollen.
Schulz hatte vor zwei Wochen Korrekturen an der Agenda 2010 angekündigt. Nahles als Leiterin einer SPD-Arbeitsgruppe arbeitete die konkreten Vorschläge aus. Während einer von der Bundesagentur für Arbeit (BA) finanzierten Qualifizierungsmaßnahme soll demnach ein Arbeitslosengeld Q in gleicher Höhe wie das ALG I gezahlt werden. Die BA soll zur Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung ausgebaut werden, Arbeitslose ein Recht auf Weiterbildung bekommen.
Nach drei Monaten Arbeitslosigkeit soll die BA Betroffenen laut dem SPD-Beschluss ein Qualifizierungsangebot machen, dass die Vermittlungschancen «nachhaltig erhöht». Digitalisierung und Strukturwandel führten zu einer Verlagerung vieler Arbeitsplätze etwa aus Bereichen wie Logistik und Verwaltung hin zum Gesundheits- und Sozialbereich oder zur IT-Branche, sagte Nahles. «Die Wirtschaft braucht diese Fachkräfte.»
Lob kam von den Grünen. Die Kombination von Qualifikation und Verlängerung des ALG I sei sehr richtig, sagte Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt. Dass die Qualifizierungsmöglichkeit nicht auch für Hartz-IV-Empfänger vorgesehen sei, sei zwar bedauerlich. Aber: «Vielleicht wird sich ja hier auch noch etwas bewegen.»
Linke-Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht sagte dem «Tagesspiegel» (Montag), die «punktuellen Verbesserungen» würden nichts daran ändern, dass Arbeitslose durch die Hartz-IV-Gesetze zur Annahme untertariflich bezahlter Jobs oder Leiharbeit gezwungen würden.
Zufrieden sind die Gewerkschaften. «Das ist ein Schritt in die richtige Richtung», sagte Verdi-Chef Frank Bsirske der Deutschen Presse-Agentur. Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann, lobte im «Tagesspiegel»: «Die SPD korrigiert damit einen Kardinalfehler der Agenda 2010, bei der die Arbeitslosen immer nur gefordert, aber nie ausreichend gefördert wurden.»
CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt warf der SPD vor, sich in Vergangenheitsbewältigung zu üben. Seit Jahren haderten Teile der SPD mit der Agenda 2010 ihres damaligen Kanzlers Gerhard Schröder. «Das könnte für die deutsche Wirtschaft und die Arbeitnehmer zur Gefahr werden», sagte Hasselfeldt der «Passauer Neuen Presse» (Montag). «Nach dem Motto «Zurück in die Zukunft» will die SPD Deutschland offenbar wieder zum kranken Mann Europas machen.» (DPA)