Ein alter Mensch liegt im Altenheim im Sterben, er hat Angst. Doch der Pfleger, der ihn seit langem kennt, hat keine Zeit für ihn. Statt ihm die Hand zu halten, hat er noch viele andere Fälle auf der Station, die er versorgen muss. Was nach einer traurigen Vorstellung klingt, ist laut Vertretern aus dem Pflegebereich Alltag in vielen Pflegeheimen. Bei einer Podiumsdiskussion auf der Bildungsmesse Didacta (14. bis zum 18. Februar) stand das Thema im Mittelpunkt.
Gibt es einen Fachkräftemangel in der Pflege?
Den Experten auf dem Podium zufolge ja. Der Fachkräftemangel in der Pflege sei auch kein neues Phänomen, sagte Prof. Gertrud Hundenborn vom Deutschen Institut für angewandte Pflegeforschung. «Aber er zeigt sich angesichts des demografischen Wandels in einer ganz anderen Schärfe.» Weil die Deutschen immer älter werden und damit der Bedarf an Pflegekräften tendenziell steigt, nehmen die Probleme zu.
Zahlen von der Bundesagentur für Arbeit bestätigen das. So heißt es in deren Fachkräfteengpassanalyse vom Dezember 2016 etwa für die Altenpflege: «Der Fachkräftemangel in der Altenpflege [...] zeigt sich ausnahmslos in allen Bundesländern. In keinem Bundesland stehen rechnerisch ausreichend arbeitslose Bewerber zur Verfügung, um damit die der Bundesagentur für Arbeit gemeldeten Stellen zu besetzen.»
Auch Friedhelm Fiedler vom Arbeitgeberverband Pflege sieht einen Fachkräftemangel. Auf Anfrage des dpa-Themendienstes bestätigte er, dass in der Altenpflege derzeit 30 000 Fachkräfte fehlen. Das habe aber nichts damit zu tun, dass niemand in die Pflege wolle. Die Auszubildendenzahlen in der Altenpflege stiegen seit ein paar Jahren an.
Die Lage wird sich in Zukunft voraussichtlich noch verschärfen. Das Bundesinstitut für Berufsbildung geht davon aus, dass bis 2035 etwa 270 000 Beschäftigte in der Pflege fehlen.
Welche Folgen hat das für die Beschäftigten?
Für das Pflegepersonal hat das im Arbeitsalltag nach Angaben der Podiumsteilnehmer auf der Didacta derzeit schon jetzt die Folge, dass sie stark überlastet sind. Sie hätten seit geraumer Zeit Probleme, die Schichten mit Fachkräften zu besetzen, gibt Andrea Kiefer vom Deutschen Bundesverband für Pflegeberufe ein Beispiel. Zum Teil müssten Kollegen aus dem Urlaub zurückgeholt werden, um Engpässe zu überbrücken. «Wir sind am Limit», sagte sie.
Evelyn Siebert-Aakolk, die auch in der Ausbildung von Pflegeschülern tätig ist, gab ein anderes Beispiel: Wenn sie den Pflegeschülern erkläre, wie sie zum Beispiel wichtige Hygienevorschriften umsetzen sollten, sagten diese nicht selten: Das klingt gut, doch dafür habe ich im Arbeitsalltag keine Zeit.
Was bedeutet das für angehende Pflegeschüler?
Die gute Nachricht für Jugendliche ist, dass sie im Pflegebereich gesucht sind. «Die Chancen auf einen Ausbildungsplatz sind in der Alten- und Krankenpflege gut», sagte Kiefer. Etwas anders sehe es in der Kinderkrankenpflege aus. Dort gebe es vielerorts nach wie vor mehr Bewerber als Ausbildungsplätze.
Die schlechte Nachricht ist, dass es nach Aussage von Michael Zeiser von der Mettnau-Schule Radolfzell mitunter aufgrund des Personalmangels zu Defiziten in der Ausbildung kommen kann. In einigen Fällen würden Auszubildende wie Arbeitskräfte eingesetzt - und es habe niemand Zeit, ihnen etwas zu zeigen. Ist das bei Jugendlichen der Fall, sollten sie ihre Pflegedienstleitung ansprechen oder ihre Lehrkraft in der Schule.
Friedhelm Fiedler vom Arbeitgeberverband Pflege macht deutlich: «Auszubildende sind Auszubildende und keine Ersatzarbeitskräfte.» Es liege auch im Interesse der Pflegeunternehmen, dass die Jugendlichen gut ausgebildet werden.
Was ist mit der Reform der Pflegeberufe?
Bisher gibt es in der Pflege die drei Ausbildungsberufe Kinderkrankenpflege, Krankenpflege und Altenpflege. Die Reform sieht vor, dass die drei Ausbildungswege vereinheitlicht werden - künftig soll es eine gemeinsame Pflegeausbildung geben. Das hätte zum Beispiel den Vorteil, dass man zwischen den verschiedenen Pflegeberufen leichter wechseln könnte. Das Kabinett hat vor einem Jahr ein Gesetz dazu beschlossen. Eine Verabschiedung im Parlament war dann aber nicht zustande gekommen. Derzeit gibt es weitere Beratungen.
Ist der Beruf für Jugendliche überhaupt attraktiv?
Trotz aller Probleme waren sich alle Podiumsteilnehmer einig, dass die Pflege ein sehr schöner Beruf ist. Man arbeite sehr nah am Menschen, erzählte die Altenpflegerin Dorothee Heimerl. Wenn ein Patient einziehe und man eine Ebene aufbaue, dann bekomme man ein unheimliches Vertrauen. «Es ist toll, jemanden begleiten zu dürfen.»
Was sollten junge Menschen mitbringen, die in die Pflege wollen?
Gefragt sei vor allem eine hohe soziale Kompetenz, erklärte Kiefer. Hinzu käme ein Interesse an medizinischen Grundlagen, sowie Ausdauer, Geduld und Belastbarkeit. (DPA/TMN)