Der überraschende Wachwechsel bei der SPD von Sigmar Gabriel zum früheren EU-Parlamentschef Martin Schulz ist auf ein geteiltes Echo gestoßen. Dass der Europapolitiker Schulz Parteichef und Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten werden soll, wurde in den eigenen Reihen erwartungsgemäß positiv aufgenommen. «Glückwunsch Martin Schulz! Unsere Unterstützung hast Du», sagte Hannelore Kraft, NRW-Ministerpräsidentin und stellvertretende SPD-Vorsitzende.
Dabei war Kraft, die Mitte Mai eine Landtagswahl zu bestehen hat, lange Zeit für Gabriel gewesen.
Die Union hielt sich zunächst zurück. Kanzlerin Angela Merkel sagte zunächst gar nichts, CSU-Chef Horst Seehofer warnte die eigenen Leute, dass es jetzt nicht einfacher geworden sei: «Eigentore dürfen keine passieren, jetzt noch weniger.» Grüne, Linke und die FDP reagierten verhalten, die AfD negativ. Die AfD-Vorsitzende Frauke Petry bezeichnete Schulz auf Twitter als «Symbol für EU-Bürokratie und ein tief gespaltenes Europa».
Schulz gab sich kämpferisch. «Dieses Land braucht in diesen schwierigen Zeiten eine neue Führung», sagte er am Dienstagabend bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Gabriel. «Die SPD hat den Führungsanspruch in diesem Land.» Allerdings liegen die Sozialdemokraten in Umfragen weit abgeschlagen hinter der Union von Kanzlerin Angela Merkel (CDU).
Schulz kündigte eine harte Auseinandersetzung mit Populisten und Extremisten an: «Ich sage in dieser auseinander driftenden Gesellschaft allen Populisten und den extremistischen Feinden unserer Demokratie und unserer pluralen Werteordnung hier entschieden den Kampf an.» Er fügte hinzu: «Mit mir wird es kein Bashing gegen Europa geben. Mit mir wird es keine Hatz gegen Minderheiten geben.» Schulz war seit 1994 im Europaparlament und zuletzt dessen Präsident. Bundesfamilienministerin und SPD-Vizechefin Manuela Schwesig sagte der «Rheinischen Post» (Mittwoch): «Mit ihm haben wir die Möglichkeit, einen engagierten, lebendigen Wahlkampf zu führen. Einen Wahlkampf für Gerechtigkeit».
Die AfD-Vorsitzende Frauke Petry bezeichnete Schulz auf Twitter hingegen als «Symbol für EU-Bürokratie und ein tief gespaltenes Europa». FDP-Chef Christian Lindner äußerte Kritik am Rückzug Gabriels, der viele unerledigte «Baustellen» hinterlasse. Die Vorsitzende der Linken, Sahra Wagenknecht, betonte, ihre Partei werde Schulz an seinen Taten messen. Die Grünen zeigten sich vorsichtig positiv.
Nachdem Gabriel Schulz in der SPD-Fraktionssitzung vorgeschlagen hatte, nominierte das SPD-Präsidium den 61-Jährigen einstimmig als Herausforderer von Merkel und künftigen Vorsitzenden. «Es kann sein, dass ich die besten Chancen habe, für die SPD die Bundestagswahl zu gewinnen. Und das ist genau der Grund, warum ich diese Aufgabe übernehme», sagte Schulz.
Auch Gabriel erklärte, er habe Schulz den Vortritt gelassen, «weil er die besseren Chancen hat. Das liegt auf der Hand». Schulz erhält seit Wochen in den Umfragen wesentlich bessere Werte als Gabriel. «Er ist jemand, der Brücken bauen kann, der Menschen zusammenführt.» Dass er und Schulz befreundet seien, sei wichtig, aber nicht ausschlaggebend gewesen, sagte Gabriel und bezeichnete Schulz als «großen Sozialdemokraten».
Der 57-jährige Gabriel will nun Außenminister werden und Vizekanzler bleiben. Die frühere Justizministerin Brigitte Zypries (63) soll seine Nachfolgerin an der Spitze des Wirtschaftsressorts werden. Schulz soll wahrscheinlich im März auf einem vorgezogenen Parteitag zum SPD-Chef gewählt werden und dann Kanzlerin Merkel bei der Bundestagswahl am 24. September herausfordern. Gabriel war dann siebeneinhalb Jahre SPD-Vorsitzender.
Das Kabinett wird voraussichtlich noch in dieser Woche umgebildet. Schon am Freitag könnten Gabriel und Zypries vereidigt werden. Der bisherige Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) tritt am 12. Februar bei der Bundespräsidentenwahl als Kandidat der großen Koalition an - an seiner Wahl gibt es keinen Zweifel.
Zunächst hatten das Magazin «stern» und «Die Zeit» über Gabriels Verzicht berichtet. (DPA)