Telekom-Chef: Digitalisierung darf niemanden zurücklassen

Timotheus Höttges, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom, bei der DLD-Konferenz in München. Foto: Tobias Hase
Timotheus Höttges, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom, bei der DLD-Konferenz in München. Foto: Tobias Hase

Telekom-Chef Timotheus Höttges fordert ein rasches Handeln von Politik und Wirtschaft, um die sozialen Umbrüche durch die Digitalisierung abzufedern. Es gebe viele Menschen, die fürchten, ihre Jobs zu verlieren oder im Alter zu verarmen. Diese Sorgen müsse man nicht nur ernst nehmen, sondern auch Lösungen finden, um diese Menschen nicht an radikale politischen Gruppen oder Parteien zu verlieren, sagte Höttges am Sonntag auf der Internet-Konferenz DLD in München. «Die einzige Stimme, die sie haben, sind Wahlen.»

 

 

Globalisierungsexperte Ian Goldin mahnte, die Welt stehe an einem Scheideweg. Die Digitalisierung biete Chancen, die die Menschheit in dieser Form bislang nie gehabt habe. Es gebe alle Möglichkeiten, in den nächsten Jahrzehnten Hunger, Armut und viele Krankheiten zu besiegen. Würden nun die falschen Entscheidungen getroffen werde, könne es aber auch eine Katastrophe geben, sagte der Wirtschaftsprofessor der Oxford Martin School im Hinblick auf das erstarken nationaler und radikaler Parteien in vielen Ländern. «Wir müssen wirklich die Art verändern, wie wir handeln und denken. Wir müssen sehr viel mehr aktivere Bürger sein.» Der aktuelle Wandel sei von seinem Ausmaß her eher mit der Renaissance-Epoche als mit einer industriellen Revolution zu vergleichen.

 

Das sieht auch Höttges so. «Viele Menschen fürchten die Veränderungen», sagte der Deutsche-Telekom-Chef. «Jede Woche unterschreibe ich Karten, in denen ich Mitarbeitern gratuliere, die seit 50 Jahre für das Unternehmen arbeiten.» Jetzt entwickele sich aber eine Arbeitswelt, in der niemand so lange Zeit für eine Firma arbeiten können werde. «Wir können nicht sagen, dass alles beim Alten bleibt, während es fundamentale Veränderungen im Arbeitsleben gibt», forderte Höttges. «Wie gehen wir mit den ganzen Menschen um, die nicht qualifiziert sind für die nächste Generation?» Man müsse deshalb ernsthaft über ein Mindesteinkommen sprechen.

 

«Wenn ein Job von Maschinen gemacht werden kann, heißt es nicht, dass das auch passiert», schränkte Goldin ein. Ein Beispiel seien Kassierer: Ihre Aufgabe könnten schon heute Automaten übernehmen, aber es sei oft menschlicher Kontakt erwünscht. «Meine große Sorge ist nicht, ob es Jobs geben wird, sondern deren Qualität» - ob sie Menschen ein ausreichendes Einkommen bieten werden.

 

Amazon-Technikchef Werner Vogels betonte, dass es in Europa schnell einen wirklichen gemeinsamen Digitalmarkt mit einheitlichen Regeln und einem freien Fluss von Daten geben müsse: «Es gibt keine echten Mauern in einer digitalen Welt.» Erst dann würden auch die Investitionen kommen, mit denen Europa bei digitalen Diensten Anschluss an die USA oder Asien finden könne. «Für die absehbare Zeit werden innovative Dienste vor allem aus den USA, Israel und Südost-Asien kommen» - den aktuell steckten europäische Unternehmen in Forschung und Entwicklung einen Bruchteil der Investitionen ihrer internationalen Rivalen.

 

In ihrem aktuellen Video-Podcast mahnte unterdessen auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mehr Tempo beim digitalen Wandel an. Die wirtschaftliche Lage Deutschlands sei zwar «recht gut», sagte Merkel. Gleichwohl müsse sich Deutschland «an vielen Stellen auch sputen, gerade den digitalen Wandel mitzumachen - und schnell genug mitzumachen». (DPA)