Gut eine Woche nach dem Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt haben Ermittler einen möglichen Kontaktmann des mutmaßlichen Attentäters Anis Amri festgesetzt. Die Telefonnummer des 40-jährigen Tunesiers hatte Amri in seinem Handy gespeichert. «Die weiteren Ermittlungen deuten darauf hin, dass er in den Anschlag eingebunden gewesen sein könnte», teilte die Bundesanwaltschaft mit. Bis Donnerstag werde geprüft, ob Haftbefehl beantragt werde.
Einem Sprecher der Bundesanwaltschaft zufolge nahmen die Ermittler den 40-Jährigen in Berlin vorläufig fest. Seine Wohn- und Geschäftsräume wurden durchsucht. «Spiegel Online» zufolge liegen diese im südlichen Stadtteil Berlin-Tempelhof.
Der 24-jährige Amri war den Ermittlungen zufolge am Montag vor Weihnachten mit einem Lastwagen in den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche in Berlin gefahren. Zwölf Menschen starben, 55 wurden verletzt. Nach offiziellen Angaben werden 20 Verletzte noch in Krankenhäusern behandelt, elf von ihnen auf der Intensivstation.
Ermittler rekonstruieren zugleich die Fluchtroute Amris durch mehrere Länder. Vier Tage nach dem Anschlag hatten ihn italienische Polizisten nahe Mailand erschossen, nachdem er bei einer Personenkontrolle das Feuer auf die Beamten eröffnet hatte. Am Vorabend filmte ihn eine Überwachungskamera in Turin, wie am Mittwoch bekannt wurde.
Vieles spricht dafür, dass Amri neben Frankreich auch durch die Niederlande kam. Zwei Tage nach dem Anschlag habe ihn «sehr wahrscheinlich» eine Überwachungskamera auf dem Bahnhof in Nimwegen nahe der deutschen Grenze aufgenommen, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft der Deutschen Presse-Agentur. Zur selben Zeit wurden dort gratis Sim-Karten verteilt. Eine solche hatten italienische Ermittler bei dem Tunesier entdeckt.
Die französischen TV-Sender TF1/LCI und BFMTV berichteten, Amri sei per Fernbus von Nimwegen nach Lyon gelangt. Er sei vom 21. auf den 22. Dezember gereist, meldete die französische Nachrichtenagentur AFP unter Berufung auf Ermittlerkreise.
Zu Tathergang und Fluchtroute sind aber auch mehr als eine Woche nach dem Attentat noch viele Fragen offen. So soll Amri einem «Focus»-Bericht zufolge zehn Minuten vor dem Anschlag noch Sprachnachrichten und Fotos verschickt haben - möglicherweise an andere Islamisten. Unter den Empfängern soll der 40-jährige Tunesier gewesen sein, der am Mittwoch in Berlin festgenommen wurde.
Unklar ist etwa auch, warum sich Amri nach Italien absetzte. Die Behörden prüfen, ob der 24-Jährige dort Unterstützer hatte. Die Nachrichtenagentur Ansa meldete, es habe mehrere Hausdurchsuchungen bei Personen gegeben, zu denen Amri während seiner Zeit im Gefängnis in Italien Kontakt hatte. Amri war 2011 als Flüchtling in das Land gekommen, wurde zu einer Haftstrafe von vier Jahren verurteilt und verbüßte diese in verschiedenen Gefängnissen.
Amris Leiche befindet sich italienischen Ermittlern zufolge nach wie vor in der Gerichtsmedizin in Mailand, wo sie obduziert wird. In Rom soll in den kommenden Tagen geklärt werden, ob Amri mit derselben Waffe auf die Polizisten in Mailand schoss, mit der auch der eigentliche Lastwagenfahrer bei dem Terroranschlag in Berlin getötet wurde. Dafür soll eine Kopie des Projektils von Deutschland nach Italien geschickt worden sein. Deutsche Ermittler befänden sich derzeit nicht im Land, hieß es in Mailand.
Der eigentliche Lkw-Fahrer aus Polen wurde tot auf dem Beifahrersitz gefunden. Er soll am Freitag in seiner Heimat bei Stettin beigesetzt werden. Es war spekuliert worden, ob er dem Attentäter ins Lenkrad griff und so noch Schlimmeres verhinderte.
Nach Informationen von «Süddeutscher Zeitung», NDR und WDR aus Ermittlerkreisen kam der Lkw nach 70 bis 80 Metern zum Stehen, weil die Zugmaschine mit einer Bremsautomatik ausgerüstet war. Dieses reagiert demnach auf einen Aufprall und betätigt von selbst die Bremsen. Diese Technik habe nach Angaben aus Berliner Regierungskreisen Leben gerettet.
In Deutschland hat der Anschlag eine Debatte über schärfere Gesetze und mehr Videoüberwachung auf Plätzen und Straßen ausgelöst. Amri galt als «Gefährder», dem ein Anschlag zugetraut wurde, verschwand aber vom Radar der Behörden. Recherchen des WDR ergaben, dass er im Ruhrgebiet gut vernetzt war und ein Dutzend Moscheen besucht hatte. (DPA)