Luxemburg (dpa) - Eine weitreichende Vorratsdatenspeicherung ist nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs rechtswidrig. Eine allgemeine und unterschiedslose Speicherung von Telefon- und Internetverbindungsdaten sei mit EU-Recht nicht vereinbar. So urteilten die Luxemburger Richter (Rechtssachen C-203/15 und C-698/15). Datenschützer, Netzaktivisten und Vertreter aus der Digitalwirtschaft haben das Urteil einhellig begrüßt und fordern nun Konsequenzen. Es sei ein großer Erfolg für den Datenschutz und das Grundrecht auf Privatheit.
Die Bundesregierung hält das geltende Gesetz in Deutschland zur Vorratsdatenspeicherung jedoch auch weiterhin für verfassungs- und europarechtskonform. Das EuGH-Urteil werde jetzt aber «sorgfältig ausgewertet», teilte das Justizministerium mit. Die hiesigen Regelungen seien aber auf jeden Fall restriktiver als die aus Schweden und Großbritannien, die jetzt vom Gericht geprüft wurden.
Das EuGH habe mit seinem Urteil «einen weiteren Pflock» für den Schutz personenbezogener Daten und privater Kommunikation eingeschlagen, erklärte die Bundesdatenschutzbeauftragte Angelika Voßhoff. Der Vorsitzende der Parlamentarischen Linken in der SPD, Matthias Miersch, begrüßte das Urteil als Anlass dafür, die in der Vergangenheit in seiner Partei sehr kontrovers geführte Debatte wieder aufzunehmen. «Die SPD wird in diesem Rahmen an einem angemessenen Ausgleich zwischen Freiheit und Sicherheit arbeiten», sagte Miersch der «Rheinischen Post».
Der Deutsche Journalisten-Verband sieht in dem aktuellen EuGH-Urteil «Anlass zur Hoffnung». «Das gibt uns Auftrieb für unsere Verfassungsbeschwerde», sagte der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall. Damit sei das in Deutschland seit 2015 geltende Gesetz nicht mehr haltbar, schätzen auch viele andere Beobachter. «Dieses Urteil ist der Hammer!», twitterte die Grünen-Politikerin Renate Künast.
In Deutschland verpflichtet seit 2015 ein Gesetz Telekommunikationsanbieter, Daten wie Rufnummern und Dauer der Anrufe bis zu zehn Wochen zu speichern. Ermittler sollen darauf bei der Bekämpfung von Terror und schweren Verbrechen zugreifen können. Bis Juli 2017 sollen die Anforderungen umgesetzt sein.
«Das Urteil des EuGH setzt klare Grenzen, die das deutsche Gesetz bereits bei der Erhebung der Daten überschreitet», sagt Rechtsanwalt Meinhard Starostik, der den Verein Digitalcourage bei ihrer Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht vertritt.
«Ich hoffe, dass das Bundesverfassungsgericht im Lichte seiner eigenen Rechtsprechung und dieses klaren Urteils des EuGH nunmehr kurzfristig das deutsche Gesetz für verfassungswidrig erklärt, damit die Speicherung am 1. Juli 2017 erst gar nicht beginnt», sagte Starostik. Mit einem Moratorium müsse nun die Umsetzung gestoppt werden, sagte Oliver Süme, Vorstand beim Internet-Verband eco. Andernfalls liefen Unternehmen Gefahr, «ein europa- und verfassungsrechtswidriges Gesetz umsetzen zu müssen und damit Gelder in Millionenhöhe in den Sand zu setzen».
«Nun muss auch Deutschland reagieren und die erst im vergangenen Jahr verabschiedete Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung ein für allemal auf den Müllhaufen der Geschichte verbannen», erklärt Volker Tripp, politischer Geschäftsführer des Vereins Digitale Gesellschaft.
Auch die Piratenpartei begrüßte die Entscheidung: «Das deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung verstößt gegen europäische Grundrechte», kommentierte der netzpolitische Sprecher Patrick Breyer. «Mit diesem Urteil erteilt Europa der NSA-Methode einer wahllosen Massenerfassung des Privatlebens unschuldiger Bürger eine klare Absage.»
Der EuGH erläuterte nun, die EU-Staaten müssten die Überwachung auf Personenkreise begrenzen, «deren Daten geeignet sind, einen zumindest mittelbaren Zusammenhang mit schweren Straftaten sichtbar zu machen». Auch der Kampf gegen schwere Kriminalität oder die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit könnten Gründe sein. Die Richter erklärten, selbst aus Verbindungsdaten ließen sich «sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben der Personen» ziehen.
Die Richter entschieden zudem, dass Behörden in der Regel nur dann Zugang zu den auf Vorrat gespeicherten Daten erhalten dürfen, wenn dies zuvor von einem Gericht oder einer anderen unabhängigen Stelle erlaubt wurde. Außerdem müssen die Daten innerhalb der EU gespeichert werden. Anlass für das Urteil sind laufende Verfahren in Schweden und Großbritannien. (DPA)