Deutschland und seine Partner haben an das syrische Regime appelliert, Zivilisten und Kämpfer aus den belagerten Rebellenvierteln Aleppos abziehen zu lassen.
«Wir fordern das Regime, aber auch den Iran und Russland auf, Menschen aus der Kampfzone gehen zu lassen», sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) nach einem Treffen westlicher und arabischer Länder - der sogenannten Freundesgruppe Syriens - bei einer Konferenz in Paris.
US-Außenminister John Kerry rief Syriens Präsidenten Baschar al-Assad und dessen Verbündeten Russland auf, «ein wenig Gnade» zu zeigen. Er glaube, dass es einen Weg nach vorn geben könne - doch das hänge an Russland. Kerry betonte, es gehe darum, die vollständige Zerstörung Aleppos zu verhindern. Er warf dem syrischen Regime wegen dessen «wahllosen Bombardierungen» Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen vor.
An dem Pariser Treffen nahmen Länder teil, die moderate Gegner Assads unterstützen und sich für eine politische Lösung des Konflikts einsetzen. Neben fünf westlichen Ländern und der EU waren auch Jordanien, Katar, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und die Türkei vertreten.
Die Teilnehmer äußerten sich bestürzt über die Lage in Aleppo. «Es fehlt uns ja mittlerweile sogar die Sprache, es fehlen uns die Worte dafür, um zu beschreiben, was in Aleppo tagtäglich stattfindet», so Steinmeier.
Aktivisten und Einwohner der Rebellengebiete Aleppos warfen syrischen Regierungskräften den Einsatz von Chlorgas vor. Ein Augenzeuge berichtete der Deutschen Presse-Agentur von einem Angriff am Vorabend in dem Viertel Al-Kallasah. Bilder und Filme im Internet zeigten, wie Menschen mit Atemproblemen behandelt wurden und Sauerstoffmasken brauchten. Der oppositionelle TV-Sender Halab Today meldete, Hubschrauber hätten Bomben mit Chlorgas abgeworfen.
Das Regime hat seit Beginn einer Offensive Mitte November rund 80 Prozent der Rebellengebiete Aleppos zurückerobert. Die humanitäre Lage im Osten der Stadt ist dramatisch. Da das Gebiet seit Anfang September vom Regime blockiert wird, fehlt es akut an Trinkwasser, Lebensmitteln und medizinischer Versorgung.
Aus Angst um Leib und Leben fliehen immer mehr Menschen aus Ost-Aleppo. Allerdings gibt es sehr unterschiedliche Angaben zur Zahl der Geflüchteten. Schon in den vergangenen Tagen hat es laut Syrischer Beobachtungsstelle für Menschenrechte eine starke Fluchtbewegung gegeben.
Rund 100 000 Zivilisten sollen die Rebellengebiete bereits verlassen haben. Etwa 70 000 seien in Stadtviertel unter Kontrolle der Regierung geflohen. In den verbliebenen Rebellengebieten halten sich nach Schätzungen noch rund 120 000 Menschen auf, wie die Menschenrechtler erklärten.
Der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums in Moskau sagte, allein in den letzten 48 Stunden hätten etwa 50 000 Menschen den Ostteil verlassen. Eine Bestätigung für die russischen Zahlen gab es nicht. Sie sind nach Einschätzung von Beobachtern meist viel zu hoch gegriffen.
Der Aktivist Wissam Sarka sagte der Deutschen Presse-Agentur, Zivilisten riskierten bei der Flucht ihr Leben. «Viele Menschen sind getötet worden, als sie wegrennen wollten», sagte er. «Viele haben festgestellt, dass die Flucht schrecklicher ist als die Bomben.» Zudem hätten die Menschen Angst vor den Regimekräften: «Wer dorthin geht, wird als Feind behandelt, denn er kommt nur, weil er fliehen musste.» Regime und Rebellen werfen sich gegenseitig vor, auf Zivilisten zu schießen.
Ein Sieg der Regierungstruppen in Aleppo bedeute kein Ende der Kämpfe, warnte der Steinmeier. «Sie werden an anderer Stelle in Syrien weitergeführt werden. Dann möglicherweise eher mit terroristischen Methoden als mit der militärischen Konfrontation.»
Frankreichs Außenminister Jean-Marc Ayrault erklärte, die syrische Opposition sei zu Gesprächen ohne Vorbedingungen bereit. Das habe deren Koordinator Riad Hidschab erklärt. Der Außenminister von Katar, Scheich Mohammed bin Abdulrahman al-Thani, beklagte: «Anscheinend setzt leider die andere Seite auf eine militärische Lösung.»
Wegen der anhaltenden Offensive syrischer Regierungstruppen auf Aleppo kündigte die EU weitere Sanktionen an. Diese würden sich gegen verantwortliche Personen sowie Organisationen richten, die das Assad-Regime unterstützten, sagte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. Die Europäische Union werde schnell handeln.
In Genf kamen am Nachmittag Militärexperten und Diplomaten Russlands und der USA zusammen, wie die russische Agentur Tass unter Berufung auf diplomatische Kreise berichtete. Wie lange das Treffen hinter verschlossenen Türen dauern würde, sei unklar. (DPA)