Kanzlerin Angela Merkel startet mit einem Dämpfer von ihrer eigenen Partei in den Bundestagswahlkampf 2017. Bei ihrer neunten Wahl zur CDU-Chefin erhielt sie auf dem Parteitag in Essen nach Parteiangaben 89,5 Prozent der Stimmen. Merkel bekam 845 Ja-Stimmen und 99 Delegierte votierten mit Nein. Das ist ihr schlechtestes Ergebnis während ihrer Kanzlerschaft und ihr zweitschlechtestes Resultat überhaupt. 2004 kam sie auf 88,4 Prozent. Merkel sagte: «Liebe Delegierte, ich nehme die Wahl an und freue mich über das Ergebnis.
Herzlichen Dank für das Vertrauen.»
Das Ergebnis dürfte auch eine Quittung für Merkels Flüchtlingspolitik und mehrere verlorene Landtagswahlen mit einer Stärkung der AfD sein. Bei der Wahl vor zwei Jahren hatte Merkel 96,7 Prozent bekommen. Ihr bestes Ergebnis hatte sie 2012 mit 97,9 Prozent Ja-Stimmen erzielt.
Anders als andere Parteien wertet die CDU Enthaltungen bei der Abstimmung als ungültig. So fallen die Ergebnisse meist etwas besser aus. Bezieht man die Enthaltungen mit ein, kommt Merkel nun auf 89,1 Prozent. Sie steht seit fast 17 Jahren an der Spitze ihrer Partei und will zum vierten Mal als Kanzlerkandidatin in den Wahlkampf ziehen. Merkel hatte am Montag gesagt, sie erwarte ein «ehrliches Ergebnis».
Auch bei den Wahlen zur weiteren Parteiführung mussten viele Kandidaten schlechtere Ergebnisse als zuletzt einstecken. Innenminister Thomas de Maizière zog mit 80,2 Prozent neu ins Präsidium ein - das engste Führungsgremium um Merkel. Ebenfalls neu ist Kulturstaatsministerin Monika Grütters dabei, die mit 70,4 Prozent das schwächste Ergebnis bekam. Die höchste Zustimmung erhielt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble mit 88,7 Prozent. Bei den Wahlen zum Vorstand schaffte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe das beste Resultat.
Erstmals wählte die CDU einen Mitgliederbeauftragten: Der niedersächsische Bundestagsabgeordnete Henning Otte soll unter anderem die Mitgliederwerbung und -betreuung koordinieren und so den Abwärtstrend bei der Mitgliederzahl aufhalten.
Merkel hatte die rund 1000 Delegierten vor ihrer Wahl auf einen harten Wahlkampf eingestimmt und um Unterstützung gebeten. «Ihr müsst, Ihr müsst mir helfen», bat die 62-Jährige. «Die Bundestagswahl wird schwierig wie keine Wahl zuvor, zumindest seit der Einheit. Sie wird wahrlich kein Zuckerschlecken.» Der Parteitag feierte Merkel nach der Rede elf Minuten lang stehend mit rhythmischem Applaus.
CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer nannte den Parteitag trotz des grundsätzlichen Neins Merkels zur CSU-Forderung nach einer Obergrenze für die Flüchtlingszahl eine «gute Startrampe» für einen gemeinsamen Wahlkampf. «Wir brauchen jetzt einen Kampfmodus.» Scharfe Kritik kam erwartungsgemäß aus der SPD und der Opposition von Linken und Grünen.
Merkel machte deutlich, der Wahlkampf werde gegen das Regierungsmodell Rot-Rot-Grün gerichtet sein. Die Union müsse so stark sein, dass das verhindert werden könne. «Unsere Zukunft hängt einzig und alleine von unserer eigenen Stärke ab.» Auf gezielte Angriffe gegen die politischen Gegner verzichtete Merkel weitgehend.
Besonders viel Beifall bekam die Kanzlerin für ihre Forderung nach einem Burka-Verbot, wo immer das rechtlich möglich ist. «Bei uns heißt es: Gesicht zeigen, deswegen ist die Vollverschleierung nicht angebracht», sagte sie. Die CDU will die Burka - die Vollverschleierung - etwa vor Gericht, bei Polizeikontrollen und im Straßenverkehr verbieten.
Eine neue Botschaft brachte Merkel in Sachen Flüchtlingspolitik nicht nach Essen mit. «Eine Situation wie die des Spätsommers 2015 kann, soll und darf sich nicht wiederholen. Das war und ist unser und mein politisches Ziel», bekräftigte sie. Im vergangenen Jahr waren 890 000 Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Die CSU verlangt deshalb eine Obergrenze von 200 000 Flüchtlingen pro Jahr. Merkel lehnt das ab.
Merkel rief CDU und CSU zu Geschlossenheit auf. Die Schwesterparteien hätten es immer geschafft, das Beste für Deutschland zu tun, wenn es darauf angekommen sei. Dies gelte auch für die Flüchtlingspolitik.
Mehrere Redner kritisierten Merkel in der Aussprache heftig. Die baden-württembergische Delegierte Christine Arlt-Palmer beklagte, die CDU habe es ermöglicht, «dass sich am rechten Rand die AfD gebildet hat. Dieses Terrain werden wir nicht zurückgewinnen.» In der Flüchtlingspolitik habe man CSU-Chef Horst Seehofer gegen die Wand laufen lassen. Der ehemalige hessische CDU-Fraktionschef Christean Wagner, der immer wieder auf das konservative Profil der CDU pocht, sagte: «Ich halte viel davon, dass wir nüchtern die Realität betrachten und uns fragen, wo wir besser werden müssen.»
Seehofer war nicht zum Parteitag eingeladen worden. Die Schwesterpartei wurde in Essen von Generalsekretär Andreas Scheuer und CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt vertreten. Scheuer sagte, die CDU habe mit Verschärfungen des Asylkurses eine Riesenchance ergriffen.
SPD-Generalsekretärin Katarina Barley sagte, Merkel habe abermals gezeigt, «dass sie keinen Plan hat, wohin sie unser Land führen möchte». Sie kritisierte: «Nach zwölf Jahren im Amt ist aber keine Kreativität oder gar noch ein Aufbruch zu erwarten.» Die Grünen warfen der CDU vor, keinen Kompass für eine sinnvolle Integrationsdebatte zu haben. Die Linksfraktion hielt der CDU vor, sie wetteifere mit «AfD, Pegida & Co.».