Nach dem desaströsen Abschneiden baden-württembergischer Schüler in einer Vergleichsstudie sollen Experten das hiesige Schulsystem auf Defizite durchleuchten. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagte am Dienstag in Stuttgart, dass er eine «ergebnisoffene und profunde» Analyse mit Fachleuten anstrebe. «Nur wenn wir wirklich wissen, warum wir abgesackt sind, können wir es beheben.» Dieser Prozess solle noch vor Weihnachten mit einem Kabinettsabend zusammen mit Experten beginnen und werde «sicher einige Monate» dauern.
«Vor dem nächsten Schuljahr muss man sicher wichtige Weichenstellungen getroffen haben». In welchem Format die Analyse stattfinden solle, werde noch diskutiert.
Nach der jüngsten Studie des Instituts für Qualität im Bildungswesen (IQB) sackt der einstige Primus Baden-Württemberg im Ländervergleich auf hintere Ränge ab: Von Platz 2 im Fach Deutsch beim Zuhören rutschten die Neuntklässler im Land auf Platz 14, beim Lesen von Platz 3 auf Platz 13 und bei der Orthografie vom zweiten auf den zehnten Rang. Der Fall sei «bestürzend», sagte Kretschmann, der eine Analyse «ohne ideologische Scheuklappen» ankündigte.
Ziel sei es, Baden-Württemberg wieder an die Spitze zu bringen. Nach seinen Angaben sollen Wissenschaftler, Experten aus den pädagogischen Hochschulen, Schulleiter, Lehrer und Eltern in die Analyse einbezogen werden. Als Entmachtung der Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) wollte er diesen Vorstoß nicht verstanden wissen. Die Schulpolitik mache selbstverständlich erst einmal die Ressortchefin. «Ich bin froh, dass wir da eine starke Persönlichkeit haben, der wir alle zutrauen, dass sie das hinbekommt.» Und er betonte: «Politischer Schlagabtausch» zu dem Thema sei jetzt wenig hilfreich.
Zwischen Grünen und CDU hing der Koalitionssegen schief. Der Grund: CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart hatte in einer Landtagsdebatte die von den Grünen geförderte Gemeinschaftsschule heftig kritisiert. Im Koalitionsausschuss am Dienstag wurden die Wogen nach Kretschmanns Angaben aber wieder geglättet. «Wir haben darüber gesprochen, dass wir nicht ewig Vergangenheitsbewältigung machen», sagte der Regierungschef mit Blick darauf, dass die damals oppositionelle CDU die Gemeinschaftsschule bereits zu grün-roten Regierungszeiten heftig angegangen war. Im grün-schwarzen Koalitionsvertrag bekennt sich aber auch die CDU grundsätzlich zu dieser Schulart.
CDU-Fraktionschef Reinhart und Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz beteuerten in einer gemeinsamen Mitteilung: «Die Gemeinschaftsschulen stehen nicht zur Debatte: Die Koalition steht zum Ausbau der Gemeinschaftsschulen gemäß dem Koalitionsvertrag.» Schüler der Gemeinschaftsschulen nahmen nicht an der jüngsten IQB-Studie teil.
FDP-Fraktionschef Hans Ulrich Rülke und FDP-Bildungsexperte Timm Kern meinten: «Die Forderung des Ministerpräsidenten ist Ausdruck seiner Hilflosigkeit angesichts des Scherbenhaufens einer Bildungspolitik, für die er die Gesamtverantwortung trägt.» Die Landesregierung dürfe jetzt nicht auf Zeit spielen, sondern müsse Qualität und Leistung zügig wieder den Vorrang in der Bildungspolitik einräumen. (DPA/LSW)