Die Top-Wirtschaftsberater der Bundesregierung haben eine Reformoffensive in Deutschland gefordert und der amtierenden schwarz-roten Koalition Versäumnisse vorgeworfen. «Statt sich auf den Erfolgen früherer Reformen, wie der Agenda 2010, auszuruhen oder sie sogar zu verwässern, sollte die Politik notwendige Reformen entschlossen umsetzen», heißt es im Jahresgutachten der «Wirtschaftsweisen», das an diesem Mittwoch in Berlin an Kanzlerin Angela Merkel (CDU) übergeben wird.
«Deutschland weist für die laufende Legislaturperiode eine enttäuschende Reformbilanz aus», schreiben die Ökonomen in dem Gutachten, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Aus Sicht des Sachverständigenrates wurde «die – nicht zuletzt auf der Reformpolitik der Vergangenheit beruhende – ökonomisch erfolgreiche Phase unzureichend genutzt, um die deutsche Volkswirtschaft auf die großen Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten».
Die gute wirtschaftliche Entwicklung biete die Chance für Strukturreformen: «Jetzt ist die Zeit für Reformen, die das Potenzialwachstum der deutschen Volkswirtschaft erhöhen, die Herausforderungen der Demografie, Globalisierung und Digitalisierung zu bewältigen helfen und die Stabilität und Leistungsfähigkeit Europas stärken.»
Für das nächste Jahr rechnen die Regierungsberater mit einem etwas schwächeren Wachstum in Deutschland. Die «Fünf Weisen» gehen davon aus, dass die Wirtschaftsleistung im laufenden Jahr um 1,9 Prozent zulegt. 2017 sollen es 1,3 Prozent sein. Der Rückgang sei vor allem auf einen Kalendereffekt zurückzuführen.
«Die zugrunde liegende Wachstumsdynamik bleibt im Wesentlichen erhalten», heißt es in dem Gutachten, aus dem zuvor auch die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» (Mittwoch) zitiert hat. Mit ihren Schätzungen liegen die Experten nicht weit von den Prognosen der Bundesregierung entfernt. Diese erwartet für 2016 ein Wachstum von 1,8 Prozent und für 2017 von 1,4 Prozent.
Auch in Europa müssten Reformen angegangen werden, wird gefordert. Die weltweit lockere Geldpolitik deute auf eine falsche Aufgabenverteilung hin: «Dauerhaft höheres Wachstum lässt sich mit geldpolitischen Maßnahmen nicht erzielen. Im Euro-Raum habe die außergewöhnlich lockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) zwar wesentlich zum Aufschwung beigetragen. Das Ausmaß der Lockerung sei aber angesichts der wirtschaftlichen Erholung nicht mehr angemessen, schreiben die Professoren.
«Der Reformeifer ist erlahmt, und einige Mitgliedstaaten lassen die notwendige Haushaltsdisziplin vermissen», heißt es. Die Geldpolitik verdecke die Probleme und gefährde zunehmend die Finanzmarktstabilität. Ein Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik werde immer schwieriger. «Die Verschleppung der Probleme gefährdet das europäische Projekt», warnen die «Wirtschaftsweisen». Ohne die Bereitschaft zu grundlegenden Reformen könne die langfristige wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der EU nicht gesichert werden. (DPA)