Nach dem Absturz Baden-Württembergs bei der Bildungsstudie des Instituts zu Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) hat die Suche nach den politisch Verantwortlichen begonnen. Die gemeinsam mit den Grünen regierende CDU sucht die Schuld in der grün-roten Vorgänger-regierung. Diese habe die ehemals funktionierende und leistungsstarke Schulstruktur umgewälzt, kritisierte CDU-Fraktionsvize Winfried Mack am Freitag in Stuttgart.
Die oppositionelle FDP im Landtag sieht die «giftige Saat einer linksideologischen Schulpolitik» aufgegangen. Grün-Rot habe einer «Einheitsschulideologie» folgend die schwächeren Kinder nicht gefördert und die stärkeren Kinder in ihrer Entwicklung behindert. Auch der Philologenverband hält die «massive Umgestaltung der Schulstruktur» unter Grün-Rot für die Ursache von Qualitätsverlusten.
Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) kündigte an, den Fokus verstärkt auf Qualität und Leistungsorientierung zu legen. Die Schulreformen der vergangenen Jahre hätten den Lehrern Zeit und Aufmerksamkeit entzogen. Nun müssten mehr Ruhe und Stabilität in die Schulen einkehren. Ihr Vorgänger im Amt, der derzeitige SPD-Fraktionschef Andreas Stoch (SPD), warnte vor schnellen Schuldzuweisungen. Man sollte nicht in Hektik und Panik verfallen. Kritik, dass unter seiner Amtszeit der Leistungsgedanke vernachlässigt worden sei, wies er zurück. Noten seien an Hauptschulen und Gymnasien nicht verboten.
Nach der IQB-Studie, die Eisenmann am Freitag in Berlin vorstellte, sackt der einstige Primus Baden-Württemberg auf hintere Ränge ab: Von Platz zwei im Fach Deutsch beim Zuhören landen die Neuntklässler im Land jetzt auf Platz 14, beim Lesen rutschten sie von Platz drei auf Platz 13 und bei der Orthografie vom zweiten auf den zehnten Rang.
In der Studie heißt es, der Anteil der Jugendlichen, die den von der Kultusministerkonferenz vorgegebenen Regelstandard bei Lesen und Zuhören im Fach Deutsch erreichen oder übertreffen, sei zwischen den Jahren 2009 und 2015 signifikant zurückgegangen. Hingegen, sei der Anteil der Schüler, die den Mindeststandard verfehlen, stark gestiegen. In Englisch verbesserten sich die Leistungen, aber geringer als in allen anderen Ländern. Bayern und Sachsen konnten hingegen ihre Spitzenpositionen halten.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) verwies auf die Bedeutung der Grundschulbildung für spätere Leistungen. Da hätten alle Landesregierungen versagt. «Ob CDU/FDP, Grüne/SPD oder jetzt Grüne/CDU: Alle haben viel versprochen, aber jedes Mal am wenigsten für die Kleinsten im Land getan», kritisierte Landeschefin Doro Moritz. Die Grundschüler in den IQB-Spitzenreiterländern Bayern und Sachsen hätten mehr Unterricht als die im Südwesten.
Der Landeselternbeirat (LEB) warnte vor reflexartigen Schuldzuweisungen. Denn die unter Grün-Rot eingeführte, bei CDU und FPD unbeliebte Gemeinschaftsschule beteiligte sich nicht an der Studie, da Neuntklässler geprüft wurden und die Gemeinschaftsschulen noch keine neunten Klassen hatten. Auch der erst vor wenigen Jahren beschlossene Wegfall der verbindlichen Grundschulempfehlung kann sich noch nicht in dem Ergebnis niederschlagen.
Die Elternvertretung sieht langjährige bildungspolitische Fehlentwicklungen. «Die vergangenen 10 bis 15 Jahre sind daran schuld mit desaströser Unterrichtsversorgung und mit dem Verzicht auf das Fachlehrerprinzip», sagte Landeschef Carsten Rees. «Baden-Württemberg hat die Bildung systematisch kaputt gespart.» Proteste der Eltern seien programmiert. Klagen von Handwerk, Industrie, Hochschulen und Eltern über das sinkende Bildungsniveau seien bewusst überhört worden.
Dies bestätigte die Baden-Württembergische Industrie- und Handelskammer (BWIHK). Die jüngste Ausbildungsumfrage bei 1800 Unternehmen dieses Jahres zeige, dass die Ausbildungsreife eher ab- als zunehme. Knapp 90 Prozent der befragten Betriebe stellten Mängel bei der Ausbildungsreife fest. Auch das Handwerk macht sich angesichts der IQB-Studie Sorgen um qualifizierten Nachwuchs.
Unterdessen will Ministerin Eisenmann die Fremdevaluation, also die Bewertung des Unterrichts durch Lehrer anderer Schulden, auf den Prüfstand stellen. Diese Pädagogen stehen dann für den Unterricht nicht bereit. Überdies setzt sie auf die Überprüfung des wirksamen Einsatzes der Lehrer durch den Landesrechnungshof. «Wir müssen die Stellen und Ressourcen, die wir haben, so effizient wie möglich einsetzen - und vor allem da, wo sie tatsächlich gebraucht werden.» Diesen Ansatz lehnt der LEB ab. Rees: «Ich halte es für absurd, dass Buchhalter die Qualität des Bildungssystem prüfen sollen. Daran sehe ich, dass auch die jetzige Landesregierung auf Einsparen aus ist.» (DPA/LSW)