Neue Gespräche über Ceta

Bitter enttäuscht: Die kanadische Handelsministerin Chrystia Freeland. Foto: Gregor Fischer/Archiv
Bitter enttäuscht: Die kanadische Handelsministerin Chrystia Freeland. Foto: Gregor Fischer/Archiv

Angesichts des drohenden Scheiterns der Verhandlungen über den europäisch-kanadischen Handelspakt Ceta bemühen sich beide Seiten heute abermals um eine Einigung. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz kündigte für den Morgen überraschend weitere Gespräche mit Spitzenvertretern der kanadischen und wallonischen Regierung an, an deren Zustimmung der Deal hängt. Führende Vertreter der deutschen Wirtschaft befürchten im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen immense Schäden.

 

Schulz kündigte im Kurznachrichtendienst Twitter an, am Samstagmorgen um 7.30 Uhr (MESZ) zunächst die kanadische Handelsministerin Chrystia Freeland und eineinhalb Stunden später den wallonischen Regierungschef Paul Magnette im Parlament zu treffen. Die Gespräche dürften nicht auf der Zielgerade abgebrochen werden, schrieb Schulz. Kanada sei bereit, «die Uhr anzuhalten, bis die EU ihre internen Probleme gelöst habe», sagte er dem ARD-Studio Brüssel.

 

Dennoch ist offen, ob und wie die Europäische Union das Gezerre um Ceta bis zur eigentlich geplanten Unterzeichnung des Handelsabkommens mit Kanada am kommenden Donnerstag beenden kann. Am Freitag erklärte die sichtlich zermürbte Handelsministerin Freeland, sie sehe derzeit keine Chance mehr für das Abkommen. Sie war zu Verhandlungen in der Wallonie, der kleinen belgischen Provinz, die sich querstellt und damit die Unterzeichnung von Ceta blockiert.

 

Außenhandelspräsident Anton Börner reagierte entsetzt auf diese Blockade. «Der Schaden (bei einem Scheitern von Ceta) für die außenwirtschaftlich orientierte deutsche Wirtschaft wäre immens und in seiner ganzen Tragweite noch überhaupt nicht absehbar», sagte er der «Rheinischen Post» (Samstag). «Im Falle einer Nicht-Einigung wären Europas Glaubwürdigkeit und unser Ruf, ein ernstzunehmender Verhandlungspartner zu sein, ruiniert», sagte der Chef des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA).

 

Ähnlich äußerte sich DIHK-Außenhandelschef Volker Treier: «Sollte die Ratifizierung nun doch noch auf der Zielgeraden scheitern, wäre dies ein großer Schaden für die internationale Glaubwürdigkeit beim Thema Handelspolitik.»

 

Dass Ceta nicht gerettet werden konnte, sei ein ernster Rückschlag für die kanadische Wirtschaft, teilte die Handelskammer Kanadas mit. «Es ist unglaublich enttäuschend, das Abkommen wenige Zentimeter vor dem Ziel scheitern zu sehen.» Kanadas Premierminister Justin Trudeau äußerte sich zunächst nicht und ließ offen, ob er zu dem für Donnerstag geplanten EU-Kanada-Gipfel anreisen wird, bei dem das Abkommen eigentlich unterzeichnet werden sollte.

 

Der CDU-Europapolitiker Elmar Brok bezeichnete Belgien wegen des Widerstands der Provinz Wallonien als «Failed State» - als gescheiterten Staat. «Wenn man sich die innerstaatlichen Entscheidungsstrukturen Belgiens anschaut, könnte man auf die Idee kommen, dass Belgien ein «Failed State» ist», sagte Brok der «Rheinischen Post». Brok warf dem wallonischen Ministerpräsidenten Paul Magnette persönliche Motive vor. «Das ist der Egotrip eines Mannes. Der wallonische Ministerpräsident hält Europa auf. Ich halte das für unverantwortlich», sagte Brok.

 

Belgien braucht für die Unterschrift die Zustimmung der Wallonie, und die EU braucht die Unterschrift Belgiens. Einen von der EU-Kommission vermittelten Kompromiss hatte die Regionalregierung am späten Donnerstagabend abgelehnt. Stattdessen forderte sie weitere Nachverhandlungen.

 

Ceta-Gegner reagierten dagegen erleichtert. «Die EU hat den Bogen überspannt, weil sie mit Ceta Bereiche regeln will, die weit über einen Handelsvertrag hinausgehen», sagte Sven Giegold, der finanz- und wirtschaftspolitische Sprecher der Grünen im EU-Parlament.

 

Befürworter fürchten, dass der Abbruch der seit 2009 laufenden Ceta-Verhandlungen die Europäische Union noch tiefer in die Krise stürzen könnte. Es sei im Rückblick auch «ein klarer Fehler» gewesen, über 30 Einzelparlamente über das Abkommen mitentscheiden zu lassen, ohne dass dies rechtlich geboten war, sagte der Fraktionschef der konservativen Europäischen Volkspartei im EU-Parlament, Manfred Weber (CSU), der «Passauer Neuen Presse» (Samstag). «Wenn Handelsfragen Europarecht sind, muss im Europäischen Parlament entschieden werden.» (DPA)