Nach der Berliner Abgeordnetenhauswahl mit historisch schlechten Ergebnissen für die bisherigen Regierungsparteien SPD und CDU beraten die Parteigremien heute über die Konsequenzen. Zwar kann der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) im Roten Rathaus weitermachen, er muss sich als Wahlsieger mit dem magersten Ergebnis aller Zeiten aber zwei Partner suchen. Zweierbündnisse haben keine Mehrheit mehr.
Nun zeichnet sich in Berlin ein rot-rot-grünes Bündnis ab - das bundesweit erste unter Führung der SPD. Dies treibt ein Jahr vor der Bundestagswahl alle Parteien um, könnte doch von einem linken Bündnis in der Hauptstadt ein Signal für einen Regierungswechsel auch im Bund ausgehen.
Nach dem vorläufigen Ergebnis erreichte die SPD 21,6 Prozent (2011: 28,3). Die Union kam mit 17,6 Prozent auf Platz zwei (2011: 23,3). Die Linkspartei landete mit 15,6 Prozent auf Platz drei (2011: 11,7) und überflügelte knapp die Grünen, die 15,2 Prozent verbuchten (2011: 17,6). Die AfD kam auf 14,2 Prozent und sitzt nun in 10 von 16 Landesparlamenten. Die Rechtspopulisten holten fünf Direktmandate. Die FDP kehrt mit 6,7 Prozent ins Parlament zurück (2011: 1,8). Erwartungsgemäß flogen die Piraten mit 1,7 Prozent (2011: 8,9) raus.
Die Sitzverteilung im Abgeordnetenhaus: SPD 38, CDU 31, Linke 27, Grüne 27, AfD 25, FDP 12. Die Wahlbeteiligung war mit 66,9 Prozent deutlich höher als 2011 (60,2 Prozent).
Fünf Parteien nur 7,4 Prozentpunkte auseinander - so eng wie jetzt in Berlin lagen in Deutschland noch nie so viele Parteien bei einer Landtags- oder Bundestagswahl zusammen. Die Linke legte als einzige der im Bundestag vertretenen Parteien zu. Die Grünen blieben unter ihrem Rekordergebnis von 2011. Beide Parteien stehen für ein Bündnis mit der SPD bereit.
SPD-Spitzenkandidat Michael Müller legte sich am Abend noch nicht fest. Er kündigte Sondierungsgespräche mit allen Parteien außer der AfD an und fügte mit Blick auf die CDU hinzu: «Ich sehe mehr Schnittmengen mit Grünen und Linken.»
Unklar ist die politische Zukunft des CDU-Spitzenkandidaten und bisherigen Innensenators Frank Henkel, dessen Partei eines ihrer bundesweit schlechtesten Landtagswahlergebnisse erzielte. Ab Abend lehnte er einen Rücktritt ab.
Parallel wurden die Kommunalparlamente in den zwölf Bezirken gewählt, die Bezirksverordnetenversammlungen (BVV). Die AfD hat nach den Wahlergebnissen dort einen rechnerischen Anspruch auf sieben Stadtratsposten. Diese Ämter würden ihr bundesweit erstmals im Zuge einer Wahl konkrete Verwaltungsmacht verleihen. Es gibt aber Widerstände in anderen Parteien, AfD-Vertreter als Stadträte zu wählen.
Für die CDU von Kanzlerin Angela Merkel, deren Flüchtlingspolitik auch in der Union selbst umstritten ist, markiert der Sonntag die Fortsetzung einer Negativ-Serie: Bei allen Landtagswahlen in diesem Jahr verlor die Partei Stimmen.
Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Stephan Mayer, sieht das Berliner Ergebnis nicht als Votum gegen Merkel. «Die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin hat nur eine Nebenrolle gespielt», sagte der CSU-Politiker der «Huffington Post». Aber: «Die CDU hat das zweite Mal in kurzer Zeit eine historische Niederlage erlitten. Es geht in den nächsten Wochen darum, den offenen Dissens zwischen CDU und CSU in der Flüchtlingspolitik zu lösen».
SPD-Generalsekretärin Katarina Barley sieht im Wahlausgang einen Denkzettel für die Union. «Die CDU hat nach der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern abermals eine krachende Wahlniederlage eingefahren», sagte Barley der Deutschen Presse-Agentur. «Mit Scheindebatten über Burka-Verbote oder die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft hat die CDU an den wirklichen Problemen der Menschen vorbeigeredet.» Die SPD, die im Bund mit CDU/CSU regiert, war in Berlin mit knapp sieben Prozentpunkten allerdings noch stärker abgesackt als die Union.
Der Parteienforscher Jürgen Falter sieht in der Berlin-Wahl einen Beleg für den Sinkflug der Volksparteien. «Natürlich ist Berlin von seiner sozialen und demografischen Struktur ein Sonderfall. Aber die Ergebnisse zeigen in der Zusammenschau mit den Wahlen der jüngeren Vergangenheit einen klaren Trend: Die Großen verlieren - und zwar so, dass sie nicht mehr wirklich groß sind», sagte der Politologe an der Universität Mainz der «Passauer Neuen Presse» (Montag). (DPA)