Facebook stellt nach massiver Kritik ein berühmtes Foto aus dem Vietnam-Krieg wieder online, auf dem ein unbekleidetes Mädchen nach einem Napalm-Angriff auf der Straße läuft. Das weltgrößte Online-Netzwerk hatte einen Zeitungsartikel mit dem Bild gelöscht und als Begründung auf das Verbot von Kinderpornografie verwiesen. Der Chefredakteur der betroffenen norwegischen Zeitung «Aftenposten» warf Facebook daraufhin Zensur und Machtmissbrauch vor.
Obwohl auf dem Bild ein unbekleidetes Kind zu sehen sei, erkenne das Online-Netzwerk die historische Bedeutung des Fotos an, erklärte Facebook am Freitag. Das Teilen dieses Bildes habe deshalb einen höheren Stellenwert als der Schutz der Gemeinschaft durch seine Löschung. Die Systeme sollen so angepasst werden, dass das Bild auch in Zukunft beim Teilen nicht gelöscht werde. Das könne einige Tage dauern.
«Ich finde, dass Sie Ihre Macht missbrauchen, und ich tue mich schwer damit, zu glauben, dass Sie das gründlich durchdacht haben», schrieb «Aftenposten»-Chefredakteur Espen Egil Hansen am Freitag in einem offenen Brief an Facebook-Chef Mark Zuckerberg. Er sei «verärgert, enttäuscht» und besorgt darüber, dass «das wichtigste Medium der Welt Freiheit einschränkt anstatt zu versuchen, sie auszuweiten, und dass das gelegentlich auf eine autoritäre Weise passiert».
Die norwegische Ministerpräsidentin Erna Solberg veröffentlichte am Freitag das Vietnam-Bild aus Solidarität ebenfalls auf ihrer Facebook-Seite und kommentierte, das Unternehmen «ziehe die falschen Schlussfolgerungen, wenn es solche Fotos zensiert». Kurz darauf war das Bild von Solbergs Facebook-Seite wieder verschwunden. Wer das Foto entfernt hat, blieb zunächst unklar.
Auch aus der Bundesregierung kam Kritik: «Strafbare Inhalte sollten aus dem Netz verschwinden, nicht Fotos, die die ganze Welt bewegen», sagte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) der «Bild»-Zeitung (Samstag). «Wenn solche Fotos gelöscht werden, trifft es genau die Falschen.»
Facebook hatte in einer ersten Reaktion am Freitag noch erklärt, es sei schwierig, bei Fotografien mit nackten Kindern einen Unterschied zu machen und die Veröffentlichung in einem Fall zu erlauben und in einem anderen nicht. «Wir versuchen, die richtige Balance zu finden zwischen der Möglichkeit für Menschen, sich auszudrücken, und einer sicheren und respektvollen Umgebung für unsere globale Gemeinschaft.»
Die Aufforderung an die größte norwegische Zeitung, das Bild zu entfernen, sei am Mittwochmorgen in einer E-Mail vom Hamburger Facebook-Büro gekommen, erklärte der «Aftenposten»-Chefredakteur. «Weniger als 24 Stunden, nachdem die E-Mail abgeschickt worden war, und bevor ich Zeit hatte, zu antworten, sind Sie selbst eingeschritten und haben den Artikel und das Bild von der Facebookseite von «Aftenposten» entfernt», schrieb Egil Hansen.
In dem Artikel auf der Facebook-Seite hatte die Zeitung über den norwegischen Autor Tom Egeland berichtet, den das soziale Netzwerk vor einigen Wochen blockiert hatte, nachdem er sieben berühmte Kriegsfotos auf seiner Facebook-Seite gepostet hatte, darunter auch das mit dem nackten Mädchen.
Es ist nicht das erste Mal, dass Facebook Fotos oder Abbildungen von Kunstwerken entfernt, weil sie gegen Richtlinien des Online-Netzwerks zur Abbildung von Nacktheit oder Gewalt verstießen. 2011 etwa sperrte das Unternehmen das Profil eines französischen Lehrers, der eine Abbildung eines Gemäldes von Gustave Courbet auf seine Pinnwand hochgeladen hatte. Das Werk «Der Ursprung der Welt» zeigt den Unterkörper einer nackten Frau mit gespreizten Schenkeln.
Da für immer mehr Menschen Online-Netzwerke zu einer zentralen Nachrichtenquelle werden, gibt es unter anderem in der Medienbranche große Sorgen, das Informationen sie nur noch gefiltert erreichen, sei es durch Software-Algorithmen oder Facebook-Mitarbeiter, die mit der Einhaltung der Regeln betraut sind.
Der Chef des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Frank Überall, hatte am Freitag das Vorgehen des Online-Netzwerks verurteilt: «Welche Inhalte eine Zeitung veröffentlicht, muss die Entscheidung der Redaktion bleiben.» Alles andere sei ein Eingriff in die Pressefreiheit. «Es geht nicht an, dass wir uns nach Moralvorgaben aus Silicon Valley richten müssen», twitterte auch Mathias Müller von Blumencron, Chefredakteur Digitale Medien der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» und sprach von einem «Sündenfall von Facebook». (DPA)