Erdogan will «Säuberungen» in der Türkei ausdehnen

Außenminister Kurz verlangte erneut eine Alternative zum Flüchtlingsabkommen der EU mit der Türkei. Foto: Christian Bruna
Außenminister Kurz verlangte erneut eine Alternative zum Flüchtlingsabkommen der EU mit der Türkei. Foto: Christian Bruna

Ankara/Wien/Brüssel (dpa) - In der EU bahnt sich Streit über den Umgang mit der Türkei an. Der österreichische Bundeskanzler Christian Kern erhielt auch aus Deutschland Unterstützung für Forderungen nach einem sofortigen Abbruch der EU-Beitritts-verhandlungen mit dem Land. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker warnte hingegen davor. Einen einseitigen Abbruch hielte er für «einen schwerwiegenden außenpolitischen Fehler», sagte der Luxemburger in einem Interview des ARD-Studios Brüssel.

 

Hintergrund der Auseinandersetzungen ist das Vorgehen der türkischen Regierung gegen mutmaßliche Unterstützer des gescheiterten Militärputsches am 15. Juli. Ungeachtet wachsender Kritik will Präsident Recep Tayyip Erdogan die «Säuberungen» weiter ausdehnen. Der islamisch-konservative Politiker rief Geschäftsleute dazu auf, Anhänger der von ihm bekämpften Bewegung des Predigers Fetullah Gülen den Behörden zu melden. Er macht sie für den Putschversuch verantwortlich.

 

Österreichs Kanzler Kern hatte bereits zuvor einen Abbruch der seit 2005 laufenden EU-Beitrittsverhandlungen gefordert - wegen unzureichender demokratischer Standards. Die Verhandlungen mit Ankara seien «nur noch diplomatische Fiktion», betonte er. Er wolle das Thema am 16. September beim EU-Gipfel in der slowakischen Hauptstadt Bratislava zur Sprache bringen.

 

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu verurteilte die Äußerungen. Dass der österreichische Bundeskanzler in «Türkei-feindliche Diskurse» verfalle, sei «besorgniserregend», sagte er. Europaminister Ömer Celik sagte: «Wenn ich ehrlich sein soll, finde ich es äußerst störend, dass diese Art von Ansatz so sehr Ähnlichkeit mit dem Ansatz der Rechtsextremisten in Europa aufweist.»

 

Aus türkischen Regierungskreisen hieß es: «Die EU-Mitgliedschaft ist seit Jahrzehnten ein strategisches Ziel und bleibt ein zentrales Ziel für die Türkei.»

 

Unterstützung erhielt Kern aus München: Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) forderte ebenfalls ein Ende der Verhandlungen über einen EU-Beitritt. «Eine türkische EU-Mitgliedschaft kann überhaupt keine Option sein», sagte Herrmann der Deutschen Presse-Agentur. Ähnliche Kommentare kamen von CSU-Parteivize und Europa-Parlamentarier Manfred Weber und dem FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff.

 

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich in der vergangenen Woche zurückhaltend zur Zukunft der EU-Beitrittsgespräche geäußert, die von großen Teilen der Union seit langem abgelehnt werden. Eine Erweiterung auf neue Themen stehe nicht auf der Tagesordnung, sagte sie lediglich. Einen Stopp der Beitrittsverhandlungen müssten ohnehin die 28 EU-Mitglieder einstimmig beschließen. Dies gilt als sehr unwahrscheinlich.

 

Von den «Säuberungen» in der Türkei waren bislang vor allem Staatsbedienstete betroffen. Nach Regierungsangaben wurden seit dem Putschversuch fast 59 000 suspendiert, allein in der Universität der westtürkischen Stadt Bursa 150 Mitarbeiter, wie am Donnerstag bekannt wurde. Insgesamt wurden etwa 26 000 Menschen festgenommen, gegen 13 000 Verdächtige erging Haftbefehl. Die Reisepässe von fast 75 000 Personen wurden für ungültig erklärt, um die Flucht ins Ausland zu verhindern.

 

Nach einem Bericht von CNN Türk plant US-Außenminister John Kerry Ende des Monats einen Besuch in der Türkei. Aus Regierungskreisen in Ankara wurde das zunächst nicht bestätigt. Die türkische Regierung beklagt, dass seit der Niederschlagung des Putsches kein westlicher Außenminister in die Türkei gereist ist, um seine Unterstützung zu demonstrieren. Erdogan hatte dem Westen am Mittwoch vorgeworfen, sich «auf die Seite der Putschisten gestellt» zu haben. (DPA)