Nach monatelangem Wahlkampf fällen die Briten eine Entscheidung historischer Tragweite für das Königreich und die Europäische Union. Gut 46 Millionen Wähler können darüber abstimmen, ob ihr Land weiterhin der EU angehören wird oder das Bündnis von zurzeit 28 Staaten verlässt. Das Ergebnis der weltweit beachteten Volksabstimmung wird für den frühen Freitagmorgen erwartet. Ein Brexit - also ein Ausstieg Großbritanniens aus der EU - würde die Union in die vermutlich schwerste Krise ihrer Geschichte stürzen.
Nahezu alle Demoskopen erwarten einen sehr knappen Ausgang.
Die Wahllokale sind von 08.00 bis 23.00 Uhr MESZ geöffnet. Mit ersten Resultaten aus den 382 Wahlkreisen wird am frühen Freitagmorgen gerechnet, ein Ergebnis dürfte erst im Laufe des Vormittags feststehen.
Jüngste Umfragen ergaben kein klares Bild, zumal viele Wähler bis zuletzt unentschlossen waren. Während die Ergebnisse der Institute Opinium und TNS das Brexit-Lager geringfügig vorne sahen, ergab eine Umfrage von YouGov einen knappen Vorsprung für das Pro-EU-Lager. Nur die Umfrage des Instituts ComRes sah einen signifikanten Vorsprung für die Brexit-Gegner.
Noch am Mittwoch kämpften prominente Vertreter beider Lager auf Wahlkampfveranstaltungen im ganzen Land um Stimmen. Premierminister David Cameron trat unter anderem in Bristol und Birmingham mit seinen Amtsvorgängern Gordon Brown und John Major auf, um für den Verbleib in der EU zu werben. Sein profiliertester Gegner, Londons Ex-Bürgermeister Boris Johnson, ließ sich auf einem Fischmarkt in der Hauptstadt mit anderen Brexit-Verfechtern fotografieren.
Zwar bekräftigte Cameron, dass er in jedem Fall Premierminister bleiben wolle. Ob er nach einer Niederlage seines Pro-EU-Lagers aber wirklich weiterregieren kann und will, gilt als fraglich. Es wird erwartet, dass Cameron nach der Verkündung des Wahlergebnisses vor die Presse tritt. Selbst Boris Johnson - dem Ambitionen auf das Amt des Premiers nachgesagt werden - sprach sich offiziell dafür aus, dass Cameron auch im Falle eines Brexit Regierungschef bleiben solle.
Finanzexperten rechnen damit, dass das britische Pfund bei einer Mehrheit für den EU-Austritt dramatisch an Wert verlieren könnte. EU-Politiker wiederum fürchten, dass ein Brexit Austrittswünsche in anderen Ländern beflügeln dürfte. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte deshalb im Vorfeld scharfe Warnungen nach Großbritannien geschickt. «Deserteure werden nicht mit offenen Armen empfangen», sagte er mit Blick auf mögliche Verhandlungen mit der EU nach einem Austrittsvotum.
Noch vor gut einer Woche hatte das Brexit-Lager in den Umfragen vorn gelegen - seit dem Mord an der Labour-Abgeordneten und Pro-EU-Politikerin Jo Cox holte das Drinbleiben-Lager aber wieder auf. Allerdings hatten die Meinungsforscher bei der Parlamentswahl vor einem Jahr mit ihren Prognosen völlig falsch gelegen. Wettbüros sahen vor Abstimmungsbeginn eine klare Tendenz zum EU-Verbleib.
Hauptthemen des zeitweise überaus hart geführten Wahlkampfes waren mögliche wirtschaftliche Nachteile durch einen Brexit sowie das Reizthema Migration. Auch die Furcht vor einer deutschen Vormachtstellung in Europa hatte das Brexit-Lager um Boris Johnson und Nigel Farage, den Chef der rechtspopulistischen Ukip-Partei, zeitweise ins Spiel gebracht. (DPA)