Wenn Nir Gideon auf der Autobahn überholt, wirkt das fast wie Magie. Der 34-Jährige legt die Hände in den Schoß, sieht zu, wie der Blinker angeht, das Auto die Spur wechselt, beschleunigt und an der hügeligen Landschaft am Rande Jerusalems vorbeibraust. Gideon testet das autonome Fahren für die israelische Firma Mobileye. Das Unternehmen entwickelt Technologie für Roboterautos, samt Kamerasystem, Algorithmus und speziellem Chip.
Die Kameras erfassen die Gefahren auf der Straße, der Chip steuert die Elektronik und stoppt darüber das Auto, um Unfälle zu verhindern. Die Technologie ist anders als beim prominenten Rivalen Google, der statt Kameras auf Laser-Radar setzt. Mobileye arbeitet unter anderem mit VW, BMW, Volvo und auch dem Elektroauto-Hersteller Tesla zusammen.
«Sie sind tatsächlich in dem Markt sehr, sehr gut positioniert», sagt Branchenexperte Gabriel Seiberth von der Unternehmensberatung Accenture. Entscheidend für das autonome Fahren werde nun die mobile Erfassung von digitalen Landkarten sein. Im Januar gab Mobileye bekannt, nun auch mit der Opel-Mutter General Motors an einer nutzergenerierten Erstellung von Karten zu arbeiten. «Aus meiner Sicht hat Mobileye in dem Segment das Potenzial zu einer Art Google der realen Welt zu werden», sagt Seiberth.
An dem weißen Audi, in dem Gideon über die Straße gleitet, sind acht Kameras befestigt, für eine 360-Grad-Sicht um das Auto. Ein Bildschirm neben dem Lenkrad zeigt an, was die Kameras sehen: Die freie Fläche vor dem Auto ist ungefährlich und grün, weiter entfernte Fahrzeuge sind Gelb umrandet, ebenso wie Straßenschilder, nahe, potenziell gefährliche Fahrzeuge haben einen roten Rahmen.
«Ding-Dong, Ding-Dong», Gideon muss die Hände ans Steuer legen. Das Fahrzeug nähert sich einem Militärstützpunkt - in diesem Bereich ist autonomes Fahren nicht erlaubt. Gideon bremst an der gelben Ampel vor ihm ab.
«Damit ein Auto voll autonom wird, muss es menschliche Intuition und ein menschliches Gefühl haben», sagt Lior Sethon, Europachef von Mobileye. «Das ist die große Herausforderung.» Es gehe darum, letztlich aus allen erfassten Details eine Entscheidung zu treffen. Was tun, wenn von links ein Fußgänger vor das Auto läuft, rechts aber ein Fahrradfahrer fährt?
Neben den technischen Entwicklungen treiben die Branche vor allem die gesetzlichen Rahmenbedingungen um. «Wir werden die Technologie viel schneller haben als die entsprechenden Regelungen», sagt Sethon. Der Mobileye-Chip, der Informationen von acht Kameras verarbeiten kann, soll zum Jahr 2018 auf den Markt kommen. Danach steht ein weiterer Chip auf dem Plan, der Daten von 20 Sensoren auswertet und komplett autonomes Fahren erlaubt.
Aktuell nutzen zehn Millionen Fahrzeuge weltweit nach Angaben des Unternehmens Technik von Mobileye. Es geht um Funktionen wie automatische Brems-Assistenten. In diesem Fall kann die Technologie ins Fahrgeschehen eingreifen. Autofahrer können aber auch beides nachträglich einbauen lassen, dann muss der Fahrer nach einem warnenden Piepen selbst abbremsen.
Mit lediglich etwas mehr als 600 Mitarbeitern ist die Firma aus Jerusalem eher ein mittelständisches Unternehmen. Der Unternehmenswert liegt an der Börse bei rund neun Milliarden Dollar. Trotzdem wird Mobileye immer wieder mit Google verglichen. Der Internetriese arbeitet schon seit 2009 an Technologie für selbstfahrende Autos und ist weit vorangekommen. Anfang Mai gab Google die erste Kooperation mit einem der großen Autokonzerne bekannt: Zusammen mit Fiat Chrysler werden zunächst einmal 100 Minivans umgebaut.
Als Konkurrenz zu Google will sich Mobileye allerdings nicht sehen. «Wir glauben, dass der Weg zu autonomen Autos eine Entwicklung ist», sagt Sethon - von der Technologie, die Unfälle vermeidet, hin zum fahrerlosen Fahrzeug. Branchenkenner sagen, Googles forsches Auftreten habe die traditionellen Autohersteller verschreckt und dass Mobileye für viele eine gute Alternative sei.
Mobileye-Gründer Amnon Schaaschua rechnet - wie viele andere Branchenplayer auch - für 2021 mit autonomen Fahrzeuge auf den Autobahnen. Entwicklungsexperte Gideon träumt schon weiter: Städte mit breiten Straßen ohne Parkplätze. (DPA)