Bundesregierung und oberste Finanz-aufsicht Bafin wollen Banken und Sparkassen vor möglicherweise dramatischen Belastungen aus einem BGH-Urteils schützen. Eine Entscheidung der Karlsruher Richter vom Donnerstag stellt die bisherige Abrechnungspraxis bei Termingeschäften infrage. Dabei geht es um Geschäfte im Umfang von vielen Milliarden Euro. Sollte das Urteil über den Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung haben, könnten die Kreditinstitute damit vor neuen riesigen Kapitallücken stehen.
Um das zu verhindern, verhängte die Bafin unmittelbar eine Allgemeinverfügung. Damit müssen die bisherigen Abrechnungsvereinbarungen weiter bestehen, bis mögliche neue gesetzgeberische Maßnahmen greifen. Das soll vorerst Rechtssicherheit schaffen.
Bundesfinanzministerium und Bundesjustizministerium kündigten schnelle Schritte an, sofern die Entscheidung des Gerichts tatsächlich allgemeine Auswirkungen hat. Die Folgen müssen aber noch geprüft werden. Die Gründe für das Urteil sind bislang nicht veröffentlicht (Az. IX ZR 314/14).
Im konkreten Fall ging es um die Klage der Dietmar-Hopp-Stiftung gegen die Insolvenzverwaltung der US-Pleitebank Lehman Brothers wegen Optionsgeschäften mit SAP-Aktien. Beide Seiten streiten darüber, wer wem wie viel Geld schuldet. Konkret geht es darum, welcher Marktpreis der SAP-Aktie genommen wird - vom Tag der Insolvenzanmeldung oder der -eröffnung des europäischen Teils von Lehmann Brothers.
Das BGH-Urteil stellt nun aber gleich Klauseln in einer laut Bafin sehr hohen Zahl von Verträgen in der gesamten Kreditwirtschaft infrage. Dabei geht es um Abrechnungsmethoden bei Termingeschäften für den Fall der Insolvenz eines der Handelspartner. Im Mittelpunkt steht das sogenannte Netting. Dabei werden alle gegenläufigen Forderungen und Ansprüche aus unterschiedlichen Geschäften von Banken miteinander verrechnet. Letztlich verringert sich dadurch die Summe der Forderungen deutlich und damit auch der Bedarf an Kapital, mit dem die Banken diese Geschäfte absichern müssen. Nach Angaben der Deutschen Kreditwirtschaft - dem Zusammenschluss aller Banken- und Sparkassenverbänden - ist dies ein wichtiges Instrument der Risikosteuerung. Solche Netting-Vereinbarungen würden auch von Industrieunternehmen und der öffentlichen Hand angewendet.
Das Gerichtsurteil könnte die bisherige Verträge über den Haufen werfen. Der Senat ging davon aus, dass eine nach dem in der Branche üblichen Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte getroffene Abrechnungsvereinbarung unwirksam sei, weil sie der Insolvenzordnung widerspreche. Nach diesem Tenor würde Experten zufolge die gesamte deutsche Rahmenvereinbarung nicht mehr gelten und damit das Netting der bisherigen Verträge nicht mehr möglich sein.
Das könnte auch bedeuten, dass die Aufsichtsbehörden für Banken, die Verträge nicht mehr anerkennen. Damit hätten die Banken wegen nicht mehr akzeptierter Verträge auf einen Schlag ein Kapitalproblem, denn dann müssten sie jede einzelne Forderungen an einen Handelspartner mit Geld absichern und könnten dies zumindest bis zu einer gesetzgeberischen Klärung nicht mehr mit gegenläufigen Ansprüchen verrechnen. Das wollen Bundesregierung und Bafin mit ihren Ankündigungen unbedingt verhindern. Sie wollen gewährleisten, dass die in der Branche gängigen Rahmenverträge anerkannt bleiben und ein mögliches Chaos verhindert wird.
EU-Richtlinien fordern von den Mitgliedstaaten laut Kreditwirtschaft ausdrücklich den Schutz solcher Verträge. Viele europäische Vorgaben zur Bankenunion setzten die Wirksamkeit solcher Netting-Verträge voraus. Nach Einschätzung der Rechtsanwaltskanzlei Linklaters ist der Unterschied zwischen der Rahmenvereinbarung und der Insolvenzordnung nicht besonders groß. Es betrifft etwa den Zeitpunkt, wann letztlich die jeweiligen Marktwerte der Einzelgeschäfte berechnet werden - ob bei Anmeldung oder Eröffnung einer Insolvenz. "Das Netting an sich wird es weiter geben, nur auf welcher Basis das stattfindet, ist nun offen", sagte Christian Storck, Kapitalmarktexperte bei Linklaters, der Finanz-Nachrichtenagentur dpa-AFX. (DPA)