Geringverdiener können nach einem Urteil des Bundesarbeitsgericht nicht immer mit Einkommensverbesserungen durch die Mindestlohneinführung vor eineinhalb Jahren rechnen. Entscheidend ist, welche zusätzlichen Entgeltleistungen sie erhalten. Bisher gewährte Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld könnten in bestimmten Fällen verrechnet werden, um die gesetzliche Lohnuntergrenze von 8,50 Euro pro Stunde zu erreichen. Das entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt in seinem ersten Mindestlohn-Urteil.
Die Anrechnung gelte jedoch nur in den Fällen, in denen die Sonderzahlungen als Entgelt für tatsächliche Arbeitsleistungen vorbehaltlos und unwiderruflich gezahlt würden - quasi wie ein 13. Gehalt. Der Fünfte Senat bestätigte damit die Rechtsprechung der Vorinstanzen. Er wies die Klage einer Cafeteria-Angestellten aus Brandenburg an der Havel ab.
Der Präzedenzfall aus Brandenburg betreffe «eine grundlegende Frage des Gesetzes», sagte der Vorsitzende Richter, Rudi Müller-Glöge. Nach Einschätzung von Fachleuten sorgt die Anrechnung von Sonderzahlungen im Alltag immer wieder für Konfliktpotenzial. Mehrere Millionen Menschen in Deutschland beziehen Mindestlohn.
Die Klägerin war der Meinung, ihr stünden die in ihrem Arbeitsvertrag vereinbarten Sonderzahlungen in Höhe von jeweils einem halben Montagsentgelt zusätzlich zum Mindestlohn zu. Nach einer Betriebsvereinbarung erfolgen die Sonderzahlungen seit Anfang 2015 nicht mehr in zwei Raten, sondern über zwölf Monate verteilt. Die 53-Jährige ist Angestellte einer Klinik-Servicegesellschaft mit rund 350 Beschäftigten in Brandenburg.
«Die Verrechnungen bewirken, dass meine Mandantin nichts vom Mindestlohn hat», sagte ihr Anwalt Simon Daniel Schmedes in der Verhandlung. Für ihn liege der Zweck des Mindestlohngesetzes aber gerade in der Bekämpfung von Armut, auch künftiger Altersarmut. Seine Mandantin würde nach wie vor für eine Vollzeitstelle monatlich 1391,36 brutto als Grundvergütung erhalten. Nach Anrechnung der monatlichen Sonderzahlungen käme sie brutto auf 1507,30 Euro.
Der Anwalt der Klinik-Servicegesellschaft, Alexander Schreiber, argumentierte, das Unternehmen würde alle Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag erfüllen und damit gleichzeitig die Lohnuntergrenze von 8,50 einhalten. «Der Klägerin wird nichts weggenommen.» Es gehe um das Gesamteinkommen. Das Gesetz sage nicht, dass zum Mindestlohn noch etwas drauf zu legen sei.
Nach Angaben von BAG-Präsidentin Ingrid Schmidt liegen bisher nur einzelne Mindestlohn-Streitigkeiten vor. Voraussichtlich Ende Juni will sich das Bundesarbeitsgericht am Fall eines Rettungsassistenten auch mit dem Mindestlohnanspruch bei der Vergütung von Bereitschaftszeiten beschäftigen. Nach Meinung des Bonner Arbeitsrechtlers Gregor Thüsing ist das Mindestlohngesetz unnötig kompliziert, voller Widersprüche, Lücken und Unklarheiten. (DPA)