Die schnelle Aufhebung der Visumpflicht für türkische Staatsbürger scheint vom Tisch. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz machte am Mittwoch klar, dass die Europaabgeordneten den entsprechenden Gesetzesentwurf nicht bis Juli verabschieden werden. Droht nun ein folgenschwerer Konflikt zwischen der Türkei und der Europäischen Union? Und vor allem: Platzt der Flüchtlingspakt? Fragen und Antworten im Überblick:
Für ein Entgegenkommen bei der Rücknahme von Migranten hatte die Türkei eine Beschleunigung der Verhandlungen über die Visaliberalisierung verlangt. Kann die Regierung in Ankara den Pakt zur Flüchtlingskrise nun aufkündigen?
Eigentlich nicht. In der am 18. März verabschiedeten Vereinbarung ist ausdrücklich festgelegt, dass die EU nur dann die Visumpflicht für türkische Staatsangehörige aufheben muss, wenn bis dahin alle 72 Voraussetzungen erfüllt sind. Dass dies bislang nicht der Fall ist, räumt selbst die türkische Regierung ein. Präsident Recep Tayyip Erdogan hat zuletzt sogar deutlich gemacht, dass sein Land zumindest eine Bedingung auch gar nicht erfüllen will. Konkret geht es um die EU-Forderung nach einer Änderung der Anti-Terrorgesetze, die aus europäischer Sicht auch eine Verfolgung von Journalisten und Oppositionellen ermöglichen.
Das heißt, für den Flüchtlingspakt besteht keine Gefahr?
So einfach ist es leider nicht. Bei der Vereinbarung zwischen der Türkei und der EU handelt es sich nicht um einen bindenden Vertrag. Theoretisch könnte die Türkei von einem Tag auf den anderen mitteilen, dass sie es der EU nicht mehr erlaubt, auf den griechischen Inseln ankommende Migranten zurückzuschicken.
Gibt es Hinweise darauf, dass dies der Fall sein könnte?
Ja. Ein Berater von Erdogan drohte bereits offen damit, die Grenzkontrollen wieder zu lockern, um Migranten die Weiterreise in die EU zu ermöglichen. Er schrieb mit Blick auf den Streit über die Visaliberalisierungen über den Kurznachrichtendienst Twitter: «Sollten sie eine falsche Entscheidung treffen, schicken wir die Flüchtlinge.»
Würde es in diesem Fall wieder zu steigenden Flüchtlingszahlen in Deutschland kommen?
Es gibt die Hoffnung, dass entsprechende Sorgen unbegründet sind. Unter Migranten hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass beliebte Asylländer wie Deutschland, Schweden oder die Niederlande über Griechenland und die Balkanroute kaum noch zu erreichen sind. Für diejenigen, die in ein bestimmtes Land nach Westeuropa wollen, macht es deswegen kaum noch Sinn, die Überfahrt von der Türkei auf die griechischen Inseln zu wagen.
Hat die Türkei dann überhaupt noch ein Druckmittel?
Der schwache Punkt der EU ist Griechenland. Sollten sich die Bedingungen für Flüchtlinge in der Türkei stark verschlechtern, könnten diese versucht sein, doch nach Griechenland zu kommen - auch wenn das Risiko besteht, dass sie von dort aus nicht in andere EU-Länder wie Deutschland weiterreisen können. Auf den betroffenen griechischen Inseln könnte es in Folge zu Chaos und Elend kommen. (DPA)