Gierige Anleger verlieren an der Börse

Aktien gelten bei vielen Anlegern als riskant. Das können sie auch sein. Vor allem, wenn Aktionäre zu gierig werden. Foto: Frank Rumpenhorst
Aktien gelten bei vielen Anlegern als riskant. Das können sie auch sein. Vor allem, wenn Aktionäre zu gierig werden. Foto: Frank Rumpenhorst

Die Nachricht meiner Bank erschreckt mich: «Bestandsveränderung» lautet der Titel des Dokuments. Das Geldinstitut teilt mir darin pflichtgemäß mit, dass meine 441 Aktien einer australischen Firma ausgebucht wurden. Auf einer Hauptversammlung war ein Reverse Split beschlossen worden, was die Anzahl der im Umlauf befindlichen Aktien der Firma reduziert. Für mich bedeutet das: Statt 441 Stück habe ich noch 5,5125 Stück im Depot.

Und da keine halben Aktien gehandelt werden, bleiben am Ende 5 Aktien übrig - von ursprünglich einmal 100 000 Stück, denn der Reverse Split war nicht der erste. Das sitzt.

 

Ein Rückblick: Es ist 2004, weltweit läuft es an den Börsen gut. Die Energiewende hat den erneuerbaren Energien einen Schub gegeben, entsprechende Aktien sind gefragt. Die Kurse von Firmen wie Solarworld, Conergy und Q-Cells eilen von einem Rekord zum nächsten.

 

Doch solche guten Börsenzeiten können auch gefährlich sein: «Viele Anleger steigen zu spät in den Markt ein und dann zu früh wieder aus», hat Jürgen Kurz von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz beobachtet. «Gekauft wird dann, wenn wirklich alle davon reden, dass man nun aber unbedingt Aktien haben sollte.» Experten werden in solchen Phasen eher hellhörig. «Oft ist das ein Zeichen für einen kurz bevorstehenden Kurseinbruch», sagt Kurz. «Deswegen bezeichnet man solche Entwicklungen häufig etwas despektierlich auch als «Milchmädchenhausse»».

 

Auch ich werde in gewisser Weise Opfer einer «Milchmädchenhausse». Ich kann mich der Euphorie dieser Zeit nicht entziehen. Nachdem ich meine ersten positiven Erfahrungen mit Aktien einer Solarfirma gemacht habe, sind solche Papiere in meinem Depot fester Bestandteil. Zugegeben, die Summen, mit denen ich mich an die Börse wage, sind vergleichsweise klein, aber die anfänglichen Erfolge können sich sehen lassen. Aus den 5 D-Mark, die ich am Anfang für eine Aktie der Firma bezahlt habe, werden bald 15 D-Mark. Das beflügelt.

 

«Wenn es gut geht, spüren wir Euphorie», erläutert Finanzpsychologin Monika Müller aus Wiesbaden. «Wenn ich die Aktien bewusst gekauft habe, dann denke ich bei Erfolgen sofort: «Ich kann es!»», so Müller. Die Kursgewinne aktivieren das Belohnungssystem im Gehirn. Das ist auch gefährlich: «Anleger überschätzen sich dann oft selbst.»

 

So geht es auch mir. Die australische Firma erscheint wie gemacht für mein Depot. Die Firma ist in ihrem Markt einer der größeren Anbieter. Auch in Down Under wollen Politiker in dieser Zeit weg von fossilen Energieträgern, die Wachstumsaussichten sind also gut. Und die Firma kooperiert mit einem deutschen Hersteller und hat eine Speicherlösung für Solarstrom im Angebot. Künftiges Wachstum scheint garantiert.

 

«Wachstumswerte sind ein gutes Investment», sagt Benjamin Betz von der Bayerischen Vermögen AG. Aber er weiß auch: «Gute Titel zu finden gehört zur Königsdisziplin bei den Investments.» Denn Anleger müssen erkennen können, wo die Wachstumsaussichten gut sind und welche Unternehmen dabei besonders gut aufgestellt sind. Außerdem: «Kleinere Unternehmen unterliegen an der Börse größeren Schwankungen.»

 

Auch diese Erfahrung mache ich. Die Aktien meines Hoffnungsträgers sind Pennystocks, der Preis liegt unter einem Euro. Solche Wertpapiere gelten als risikoreich, weil der Kurs oft noch mehr schwankt. Ich aber glaube an den künftigen Erfolg und kaufe weiter nach. Auch als der Preis von etwa 0,22 Cent auf bis zu 0,02 Cent gefallen ist. Dass ich bei diesem Investment längst verloren habe, erkenne ich noch nicht.

 

«Ein typischer Anlegerfehler liegt in der Unterschätzung der eigenen Emotionalität», sagt Rainer Laborenz der Privatinvestor Vermögensmanagement GmbH. Unerfahrene Anleger trifft dies gleich mehrfach: Sie investieren häufig in bekannte Märkte oder Unternehmen, einfach weil sie sich dort auskennen oder möglicherweise täglich mit den Produkten der Firma zu tun haben. Doch damit investieren sie zu einseitig und verteilen das Risiko nicht gut.

 

Und Anleger entwickeln oft auch eine zu emotionale Bindung zu einem Investment. Die Folge: Oft halten sie Aktien zu lange, kaufen bei fallenden Kursen nach und ignorieren möglicherweise Warnzeichen. In meinem Fall wird die Einspeisevergütung gekürzt, die Gewinne der Solarhersteller schrumpfen. Zusätzlich wird der Wettbewerb aggressiv, erste Unternehmen geraten in eine Schieflage. Ich erkenne diese Zeichen nicht, hoffe naiv auf den Turnaround. Doch der stellt sich nicht ein. Bis heute.

 

An der Börse bin ich nach wie vor aktiv. Warum? Dieses Investment war ein extremer Einzelfall. Mit den meisten anderen Wertpapieren habe ich durchaus positive Erfahrungen gemacht. Die fünf Aktien der australischen Firma behalte ich - als Erinnerung an meine Fehler.

 

Literatur:

Justus Heuer, Martin Weber: Glück oder Können? Fallstricke bei der Beurteilung von Fondsperformance, Universität Mannheim 2014

 

Thomas Vittner, Andreas Fritsch: «Börsenerfolg beginnt im Kopf. Mit der richtigen Einstellung und dem richtigen Plan zu mehr Gewinn», Börsenbuchverlag 2012, ISBN-13: 978-3864700088, 336 Seiten, 29,90 Euro (DPA/TMN)