Schwarz-rote Harmonie nach Monaten der Zerrissenheit

Deutschkurs für Flüchtlinge in der Gemeinschaftsunterkunft in Güstrow: Drei ehrenamtliche Lehrkräften helfen hier den Asylbewerbern in einer Gemeinschaftsunterkunft beim Erlernen der deutschen Sprache. Foto: Bernd Wüstneck
Deutschkurs für Flüchtlinge in der Gemeinschaftsunterkunft in Güstrow: Drei ehrenamtliche Lehrkräften helfen hier den Asylbewerbern in einer Gemeinschaftsunterkunft beim Erlernen der deutschen Sprache. Foto: Bernd Wüstneck

Nach monatelangem Streit will die große Koalition mit demonstrativer Einigkeit bei den zentralen Themen Integration und Sicherheit ihr Stimmungstief überwinden. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) lobte nach fast siebenstündigen nächtlichen Verhandlungen, die Runde im Kanzleramt habe wichtige Projekte wesentlich vorangebracht. Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel und der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer beschworen die Handlungs-fähigkeit der Regierung bis zur Bundestagswahl 2017.

Wesentliche Streitthemen hat die Spitzenrunde allerdings nicht endgültig gelöst.

 

Städte, Kommunen und Kreise unterstrichen als Reaktion auf die Beschlüsse ihre Forderungen nach stärkerer finanzieller Unterstützung durch den Bund.

 

Die rechtspopulistische AfD, zu der viele Protestwähler von Union und SPD abgewandert waren, bezeichnete die Koalitionspläne für eine bessere Integration von Flüchtlingen als «Unrecht» gegenüber deutschen Arbeitnehmern. Zwar sei man auch dafür, Asylbewerber schneller in den Arbeitsmarkt zu integrieren, «aber bitte zu den gleichen Bedingungen wie alle anderen Arbeitnehmer auch», sagte Parteivize Alexander Gauland.

 

Vor allem Menschen mit Bleibeperspektive sollen nach den Plänen der Koalition schneller in Gesellschaft und Arbeitsmarkt integriert werden. Werden Integrationsmaßnahmen abgelehnt oder abgebrochen, sollen Leistungen gekürzt werden können. Verlassen Schutzberechtigte unerlaubt den ihnen zugewiesenen Wohnsitz, soll das spürbare Konsequenzen haben. Schwarz-Rot will außerdem 100 000 zusätzliche Arbeitsgelegenheiten wie «Ein-Euro-Jobs» schaffen.

 

Weil für viele Maßnahmen die Zustimmung der Bundesländer notwendig ist, sollen die Eckpunkte des Integrationsgesetzes am 22. April bei einer Ministerpräsidentenkonferenz erörtert werden. Die Regierung will den Gesetzentwurf während einer Klausur am 24. Mai beschließen.

 

Im Maßnahmenkatalog zur Terrorismusbekämpfung wird vorgeschlagen, den Sicherheitsbehörden mehr Geld, Personal und Befugnisse zu geben. Dem Bundesnachrichtendienst und dem Bundesamt für Verfassungsschutz will die Koalition erlauben, stärker als bisher mit Partner-Geheimdiensten aus Europa, der Nato und Israel Daten zu tauschen - das birgt Zündstoff und dürfte Bedenken von Datenschützern hervorrufen.

 

Ein auf Eis liegender Gesetzentwurf gegen Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen soll nun weiter verhandelt werden. Auch bei der Erbschaftssteuer muss die Koalition rasch handeln, weil nach Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts eine Reform im Sommer in Kraft treten muss. Bei beiden Themen hatte die CSU ihr Veto eingelegt, weil sie zu starke Beschränkungen für die Wirtschaft fürchtet. Die Entscheidung über eine staatliche Förderung von Elektroautos soll noch in diesem Monat fallen.

 

Den Kampf gegen Altersarmut wollen Union und SPD zu einem gemeinsamen Reformvorhaben in ihrer verbleibenden Regierungszeit machen. Zunächst soll mit Gewerkschaften und Arbeitgebern geredet werden. Seehofer sagte, über den Handlungsbedarf bei diesem Thema bestehe breiter Konsens. Mit Blick auf die Bundestagswahl 2017 sagte er: «Die Rentenpolitik eignet sich nicht unbedingt für gigantische parteipolitische Profilierung.» Dennoch wird in Berlin erwartet, dass die Rente zu einem der wichtigsten Wahlkampfthemen werden könnte.

 

Die Kanzlerin betonte trotz der Querschüsse Seehofers gegen ihre Flüchtlingspolitik und den Querelen zwischen CSU und SPD: «Ich habe nicht den geringsten Zweifel daran, dass wir die Zusammenarbeit fortsetzen.» Gabriel sagte, er sei «sehr sicher, auch nach dem, wie das gestern abgelaufen ist, dass das auch die weitere Zusammenarbeit in der Koalition bis zum Ende der Legislaturperiode (...) prägen wird». Dies sei nicht nur wichtig für das Vertrauen innerhalb der Regierung. «Handlungsfähigkeit in so wichtigen Themen wie Integration und Sicherheit zu gewährleisten, ist natürlich auch ein Signal für das Vertrauen der Bürger in die Bundesregierung», sagte Gabriel.

 

Seehofer beteuerte, die CSU wolle die Koalition «ordnungsgemäß weiterführen» bis zur Bundestagswahl. «Wir werden jeden Beitrag dazu leisten, damit verantwortungsvoll diese Regierung für unser Land vernünftige Politik gestalten kann. Der gestrige Abend war ja ein guter Beleg dafür.» Der Ministerpräsident ergänzte: «Aber ich möchte auch nicht verschweigen, dass wir noch gigantisch viel zu tun haben bis zur Sommerpause.» An der Drohung mit einer Verfassungsklage gegen die Flüchtlingspolitik Merkels hält Seehofer dennoch fest. (DPA)