Bitterer K.o. für den BVB - 3:4 gegen Klopp und Liverpool

BVB-Trainer Thomas Tuchel (r) steht mit verschränkten Armen hinter dem jubelnden Jürgen Klopp, der mit Liverpool soeben den Sieg eingefahren hat. Foto: Bernd Thissen
BVB-Trainer Thomas Tuchel (r) steht mit verschränkten Armen hinter dem jubelnden Jürgen Klopp, der mit Liverpool soeben den Sieg eingefahren hat. Foto: Bernd Thissen

Jürgen Klopp klatschte seine Helden von der Anfield Road ab, die Liverpooler Fans sangen inbrünstig die Kult-Hymne «You'll never walk alone». Die Spieler von Borussia Dortmund standen dagegen frustriert auf dem Rasen und konnten es kaum fassen. In einer denkwürdigen Nacht ist der BVB vom FC Liverpool und Ex-Trainer Klopp aus allen Träumen gerissen worden. Trotz einer 2:0- und 3:1-Führung kassierte die Elf von Trainer Thomas Tuchel noch eine 3:4 (2:0)-Niederlage bei den Reds und verpasste damit das Halbfinale der Europa League.

Klopp darf dagegen weiter auf seinen ersten Titelgewinn mit dem englischen Traditionsverein in seiner Premieren-Saison hoffen.

 

«Das war große Leidenschaft gegen einen bärenstarken Gegner», sagte Klopp und lobte seine Mannschaft: «Wir haben das von Anfang an ganz gut gemacht - am Ende hatten wir das bessere Ende für uns.» In der Halbzeitpause hat er seinen Jungs ein paar Spielszenen gezeigt und das Team angespornt: «Wir wollen und müssen Charakter zeigen!»

 

Klopps Dortmunder Nachfolger Thomas Tuchel war dagegen restlos enttäuscht. «Wir sind sehr leer. Es fühlt sich an, so wie es ist. Wir standen vor einem großen Ziel, vor einem Meilenstein. Wir haben es aber nicht geschafft. Wir müssen fair zugeben, dass wir nach dem 3:1 nicht mehr damit klargekommen sind, wie Liverpool mit großem Risiko gespielt hat», sagte Tuchel und Nationalspieler Marco Reus haderte: «Das ist extrem bitter und schwer in Worte zu fassen. Wir haben gut angefangen und zwei Tore vorgelegt. Wir dürfen hier keine vier Tore in der zweiten Halbzeit kassieren. Wir müssen uns selbst hinterfragen, wie man so ein Spiel noch aus der Hand geben kann.»

 

Der deutsche Nationalspieler Emre Can war dagegen auf Liverpooler völlig aufgelöst. «So einen Abend erlebt man nicht oft. Ich bin einfach nur stolz, Teil dieser Mannschaft zu sein. Fans, Trainer, Spieler - jeder von uns hat noch daran geglaubt.»

 

Dejan Lovren (90.+1) krönte in einem völlig verrückten Spiel mit seinem Treffer in der Nachspielzeit die Liverpooler Aufholjagd. Zuvor hatten Henrich Mchitarjan (5.), Pierre-Emerick Aubameyang (9.) und Marco Reus (57.) vor 45 000 Zuschauern den BVB bereits mit 2:0 und 3:1 in Führung gebracht, doch Liverpool kam durch Divock Origi (48.), Coutinho (66.), Mamadou Sakho (78.) noch zurück. Damit kassierte der BVB im 19. Pflichtspiel im Jahr 2016 die erste Niederlage. Zugleich bleiben deutsche Mannschaften an der Merseyside weiter ohne Sieg. Wer im Halbfinale (28. April und 5. Mai) Gegner von Liverpool ist, entscheidet sich bei der Auslosung in Nyon am folgenden Tag.

 

«Borussia Dortmund kann überall auf der Welt zwei Tore schießen», hatte Klopp noch vor dem emotionalen Duell mit seiner «alten Liebe» gewarnt. Dass er bereits nach neun Minuten auf schmerzliche Weise bestätigt wird, hätte der Coach aber wohl kaum für möglich gehalten.

 

Doch sein Ex-Club übernahm von Beginn an die Initiative, kombinierte schnell und mit hoher Präzision nach vorne. Die Belohnung folgte schon in der fünften Minute: Nach einem Liverpooler Ballverlust ging es ganz schnell. Über Shinji Kagawa und Gonzalo Castro gelangte der Ball zu Aubameyang, der aus kurzer Entfernung an Keeper Simon Mignolet scheiterte, den Abpraller drückte aber Mchitarjan über die Linie.

 

Und es ging weiter nur in eine Richtung, Liverpool wirkte in der Anfangsphase geradezu geschockt. Das nutzte der BVB eiskalt aus. Nach einer starken Balleroberung ließ Reus mehrere Liverpooler Spieler stehen und setzte mit einem Traumpass Aubameyang in Szene, der aus halbrechter Position zum 2:0 traf. Klopp registrierte den Nackenschlag mit versteinerter Miene, während neben ihm Tuchel Luftsprünge fabrizierte. Beide Trainer mussten sich eine Coaching-Zone teilen.

 

Tuchels Taktik mit einer offensiven Ausrichtung war voll aufgegangen. Nachdem er seine Stars beim Revierderby noch geschont hatte, veränderte er seine Elf auf acht Positionen. Mit Kagawa und Castro wählte er die offensivere Variante, für den nach einer Fußprellung genesenen Ilkay Gündogan reichte es wie auf Schalke (2:2) zunächst nur für die Bank.

 

Die Reds gaben sich nach der Horror-Viertelstunde aber keineswegs auf und meldeten sich zurück. Im Abschluss haperte es jedoch. Divock Origi (17. und 25.) sowie Alberto Moreno mit einem Volleyschuss (18.) und der Ex-Hoffenheimer Roberto Firmino per Kopf (27.) vergaben gute Chancen.

 

Es entwickelte sich ein hochklassiges Spiel mit packenden Szenen und vielen Torchancen. Auch die Dortmunder blieben bei ihren Kontern stets gefährlich, allein Aubameyang hatten noch im ersten Durchgang drei große Chancen (26., 31. und 36.).

 

Schon Minuten vor dem Wiederanpfiff zur zweiten Halbzeit schickte Klopp seine Mannschaft zurück aufs Feld. Und seine Spieler waren gleich hellwach. Nach Zuspiel von Emre Can war Origi frei durch und sorgte für den so dringend benötigten Anschlusstreffer. Doch die Hoffnung währte keine zehn Minuten. Mats Hummels bediente mit einem genialen Pass Reus, der den Zwei-Tore-Abstand wiederherstellte. Liverpool gab sich aber auch da nicht geschlagen und machte es dank der Treffer von Coutinho und Sakho wieder spannend. Es entwickelte sich eine irre Schlussphase, in der Lovren in der Nachspielzeit das goldene Tor glückte.

 

Bevor aber der Showdown begonnen hatte herrschte an der Anfield Road andächtige Stille. Vor der Partie gab es eine Schweigeminute für die 96 Opfer der Hillsborough-Tragödie in Sheffield, die sich am 15. April zum 27. Mal jährt. (DPA)