Rehkopf statt Fertigfutter: Frischfleisch für den Hundenapf

Auch Hundewelpen gehören zur Kundschaft. Foto: Monika Skolimowska
Auch Hundewelpen gehören zur Kundschaft. Foto: Monika Skolimowska

Dienstag ist Liefertag bei Schmackofatz. Statt Pizza oder Sushi liegen aber etwas andere Snacks in der Tiefkühlbox: Anne Kroenke fährt Jungbullenherzen, Pansen und getrocknete Bullenpenisse durch Berlin. Ihre Kunden setzen auf eine spezielle Rohfleisch-Diät für Großstadthunde. Kundin Kerstin hat in Berlin-Weißensee ungeduldig auf die Lieferung gewartet. Die 56-Jährige steht in rosa Pantoffeln breitbeinig in ihrer Küche, die Fäuste in die Hüfte gestemmt.

Auf einer Arbeitsfläche lassen ein Plastikeimer mit Popcorn und ein geöffnetes Glas Miracel Whip auf ein eben vollzogenes Abendessen schließen. Die Frau mit schwarz-glänzenden Locken nuckelt an einer Limoflasche, in der Jogginghose kramt sie nach Geldscheinen. 1,2 Kilo Pansen - also Magenteile - und 2 Kilo Herz wechseln für 14 Euro den Besitzer.

 

Neben Kerstins Abendbrot - geschnittenen Gewürzgurken und Kartoffelscheiben, die in Mayonnaise untergehen - legt die Lieferantin einen prall gefüllten Beutel ab. Eine teils blutrote, teils graue Masse schimmert durch die Plastikhülle. «Und nächstes Mal, biste so lieb und bringst mir 'nen Entenschlund? Und was auch gut war, das war der Kehlkopf. Der Hund muss kauen», sagt Kerstin.

 

Ein schüchternes Augenpaar blickt durch den Türspalt. Ein Beagle hat sein Abendessen erschnüffelt. «Das duftet gut, was, Sherry?», sagt Kerstin. Nur noch rohes Fleisch, Knochen und Innereien kommen für sie in die Tüte. Roh müsse es sein, ursprünglich. Kerstin ernährt ihren Hund mit der Methode Barf («Bones and raw foods» - auf Deutsch: Knochen und rohes Futter), die sich an den Fressgewohnheiten von Wildhunden orientiert. Auch Katzen oder Frettchen werden von Tierhaltern mit frischen Innereien, Schlachtabfällen, teilweise angereichert mit Obst, Gemüse und Vitaminen gefüttert. Barf, eine Art Paleo-Diät für Haustiere.

 

«In Fertigfutter ist Getreide und Zucker drin. Das kriegt mein Hund nicht. Das macht nämlich dick», sagt Kerstin. «Und außerdem entspricht es nicht der Natur des Hundes», sagt sie, hebt bedeutsam den Zeigefinger und betont nun Wort für Wort. «Denn der Hund stammt vom Wolf ab. In der Natur kriegt er das auch nicht in kleine Stücke geschnitten. Da fängt er sich das.»

 

Lieferung erledigt. Draußen fällt die Haustür ins Schloss. Kroenke, 26 Jahre alt, seufzt vor dem Mehrfamilienhaus mit senfgelbem Anstrich. «Sie will frischen Pansen am Stück, den hab' ich nur tiefgefroren, weil es kaum Nachfrage danach gibt», sagt sie, steigt ins Auto und zitiert wie aus einem Lexikon für Fleischkunde: der Pansen, einer der Vormägen der Wiederkäuer, zwischen acht und zehn Kilo schwer, «sehr geruchsintensiv». Der Hund schüttelt ihn, der Hund trägt ihn herum.

 

Der kleine Honda holpert durch die Seitenstraße. Die Leuchtstofflampen der Straßenlaternen bedecken die Pflastersteine mit einem gedämpften Orange. Kroenke blickt auf ihr hell beleuchtetes Handy und folgt der Route ihres kleinen blauen Pfeils: Berlin-Mitte, Weißensee, Friedrichshain, Treptow.

 

Kritiker der Barf-Methode sehen die Rohfleischernährung als problematisch an. Der Hund als Haustier sei kein Wildtier mehr, er habe inzwischen einen geringeren Kalorienverbrauch als der Archetyp Wolf und habe sich längst an kohlenhydratreiche Ernährung angepasst. Kroenke lässt sich davon nicht beirren. Die Abkehr vom Fast Food geht für sie mit der Abkehr vom Dosenfutter gleich. «Der Mensch hat zuerst das Bewusstsein bekommen, und jetzt geht es immer mehr auf den Hund über.»

 

Mehr als 28 Millionen Haustiere leben in Deutschland. Rund eine Milliarde Euro wurden 2014 allein in Deutschland für die Ernährung von Hunden umgesetzt. Barfen ist dagegen ein Bereich für Feinschmecker - offizielle Zahlen gibt es nicht. Hierzulande haben sich in den vergangenen Jahren aber immer mehr Geschäfte etabliert. Von Konstanz, Oberhausen, Köln bis München. Die meisten Barf-Shops gibt es in der Hundehauptstadt Berlin.

 

Tierisch gute Geschäfte machen die Anbieter zunehmend mit alternativen Ernährungsformen. Der Umsatz mit Snacks für Hunde und Katzen ist nach einer Untersuchung des Industrieverbandes Heimtierbedarf zuletzt um fünf Prozent gestiegen.

 

Etablierte Unternehmen und spezialisierte Anbieter machen den Frischfleischtheken für Hunde Konkurrenz. Fressnapf liefert tiefgefrorenes Kaninchenfleisch, 6 Kilo für 52,99 Euro. Online-Händler Pets Deli bietet eine Dose Känguru für 2 Euro oder ein «Rundum-Sorglos-Paket» für 70 Euro. Zooplus vertreibt Barf-Mischungen für gebrechliche Vierbeiner, das «Gelenk-Aktiv Paket» für 27 Euro, das «Barf Senior Menü Paket» für 50 Euro. «Unser Ehrgeiz war von Anfang an nicht, Hunde und Katzen maximal glücklich zu machen, sondern ihre Besitzer», sagte einmal Zooplus-Chef Cornelius Patt in einem Interview.

 

Sonderwünsche erfüllt auch Anne Kroenke in ihrem Barf-Geschäft im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. In der Vitrine liegen Schüsseln mit zerteiltem Wildfleisch, Blättermagen, Hühnerherzen, Putenhälse und einer Art grünem Gemüse-Smoothie für Hunde. In Körben türmen sich Kaninchenohren, Rinderhäute mit Fell oder getrocknete Ochsenziemer - kaubare Bullenpenisse in der Länge von Krückstöcken. Der besondere Gaumenschmaus: das Ochsenohr. «Ich empfehle es total oft, es ist ein schöner Kausnack, eine schöne Beschäftigung», sagt Kroenke. Die Ware bezieht sie frisch von Schlachthöfen aus Brandenburg, Sachsen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen.

 

«Klar hab' ich Kunden, die bei der Bestellung sagen: Geil, 'n Kopf? Gib mir den. Dann hab ich wieder Kunden, denen der Anblick frischer Ochsenschwänze zu viel wird», sagt Kroenke. Die Portionen stimmt sie für jeden Kunden individuell ab. Soll er zunehmen? Soll er abnehmen? Die Faustregel: Immer gut durchmixt, immer gut durch, dazu ein Schuss Lachsöl zur besseren Vitamin-Aufnahme durch Omega-3-Fettsäure.

 

Undercut, blau gefärbte Haare, Piercings in der Lippe, in der Wange, in der Nase, zwei große Tattoos an Oberschenkeln. An manchen Stellen erinnert sie an Stieg Larssons Roman-Heldin Lisbeth Salander, die Rebellin, das Mädchen mit dem Drachen-Tattoo. Aufgewachsen in Frankfurt an der Oder. Schulabbruch mit 18 Jahren. Ausbildung in Potsdam zur Restaurantfachfrau. Kellnerin in einer Potsdamer Brauerei. Crash-Kurs in der Barkeeper-Schule. Danach Mädchen für alles im Berliner Hard Rock Cafe. Jetzt der Barf-Shop und das Fernstudium zur Ernährungsberatung für Kleintiere.

 

Zum Barfen ist sie durch ihren eigenen allergiegeplagten Hund gekommen. «Es gibt gewisse Dinge wie Mais, die sind unglaublich ungesund und greifen auch die Psyche an», sagt sie. Kroenke glaubt, das Geheimnis der richtigen Ernährung zu kennen. Früher seien Hunde von Tierabfällen auf dem Bauernhof ernährt worden. Seit Jahrzehnten würden sie nun aber mit Abfallprodukten von Getreide gefüttert. «Das ist ein guter Füllstoff, das macht satt, das stopfen wir mal rein. Für 'nen Hund ist das natürlich nicht artgerecht», sagt sie.

 

Unter ihren Kunden setzen viele auf die richtige Ernährung, aber es gibt auch andere Gründe. Die Köchin in Friedrichshain, die aus dem Rohfleisch das Lieblingsgericht ihrer Bulldogge zaubert, «angebratenes Geschnetzeltes vom Kälbchen mit einem Flöckchen Butter und Haferflocken». Der Restaurantbesitzer in Mitte, der auf die Genesung seines Flat-Coated Retriever hofft, weil Luna wegen einer Mandelentzündung statt Rinderfilets zeitweise nur noch Schnee fraß.

 

Kranke Tiere, noch so ein Thema in der Barf-Community. «Man sollte ruhig einmal pro Woche Fell füttern, das ist die natürlichste Darmreinigung, die man machen kann. Es zieht jeden Scheiß mit raus», sagt Kroenke.

 

Eine andere Form der artgerechten Ernährung geht aber auch ihr zu weit - die Prey-Methode. «Ein ganzes Kaninchen wird da hingeworfen, mit Fell und allem drum und dran. Das ist auf alle Fälle radikaler», sagt sie. Wobei sie auch das teilweise nachempfinden könne. «Ich habe einen Jäger als Kunden, der bringt mir für meinen Pitbull ab und an einen Rehkopf mit», sagt sie. Wie lange der Hund damit beschäftigt sei? «Ein Stündchen. Da bleibt nicht viel übrig, ein paar Splitter und 'ne Zahnreihe.» Der Hund muss kauen.