EU und Türkei besiegeln umstrittenen Flüchtlingspakt

Der türkische Regierungschef Ahmet Davutoglu fgreut sich über die Einigung mit EU-Gipfelchef Donald Tusk und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Foto: Olivier Hoslet
Der türkische Regierungschef Ahmet Davutoglu fgreut sich über die Einigung mit EU-Gipfelchef Donald Tusk und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Foto: Olivier Hoslet

Mit einem beispiellosen Schulterschluss haben sich die EU und die Türkei auf einem Pakt zur Bewältigung der Flüchtlingskrise geeinigt. Die 28 EU-Staats- und Regierungschefs verständigten sich mit dem türkischen Regierungschef Ahmet Davutoglu auf die Rückführung Tausender Migranten. Migranten, die ab Sonntag (20. März) auf den griechischen Ägäis-Inseln ankommen, riskieren, wieder in die Türkei zurückgeschickt zu werden. Die EU nimmt ihrerseits der Türkei bis zu 72 000 syrische Flüchtlinge ab.

Ankara winken zusätzliche Milliardenhilfen und mehr Schwung in den seit Jahren stockenden EU-Beitrittsverhandlungen.

 

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bilanzierte nach zweitägigen, äußerst zähen Gipfel-Verhandlungen in Brüssel, Europa werde es schaffen, auch diese schwierige Bewährungsprobe zu bestehen. «Nach dem 20. März (...) wird die Türkei jeden irregulären Migranten zurücknehmen.» Wer sich auf diesen gefährlichen Weg begebe, riskiere nicht nur sein Leben, sondern habe «eben auch keine Aussicht auf Erfolg», so Merkel.

 

Der Pakt sieht vor, dass für jeden syrischen Flüchtling, den die Türkei zurücknimmt, ein anderer Syrer aus dem Land auf legalem Wege in die EU kommen kann. Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR wird dabei eingebunden.

 

Die EU bot insgesamt 72 000 Plätze für dieses Verfahren an. Falls diese Zahl überschritten wird, soll die Regelung zunächst ausgesetzt werden. Falls die Regelung erfolgreich ist, wird Ankara eine zusätzliche Umsiedlung auf freiwilliger Basis in Aussicht gestellt.

 

Davutoglu sprach nach der Einigung von einem «historischen Tag». Er fügte hinzu: «Heute erkennen wir, dass die Türkei und die EU dasselbe Schicksal, dieselben Herausforderungen, dieselbe Zukunft haben.» EU-Gipfelchef Donald Tusk sprach von einem «Durchbruch» im Verhältnis zwischen der EU und der Türkei. Brüssel kritisiert seit Jahren Mängel bei der Einhaltung von Grundrechten in dem EU-Kandidatenland.

 

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sagte mit Blick auf die Rückführung in die Türkei, die EU stehe vor einer «Herkulesaufgabe». Der Luxemburger fügte hinzu: «Dies ist die größte logistische Herausforderung, mit der die Europäische Union sich je konfrontiert sah.» Griechenland steht vor einer gewaltigen Herausforderung. «Die Flüchtlinge und die Asylantragsteller werden einer indviduellen Prüfung unterzogen. Sie können Berufungsverfahren in Anspruch nehmen», versicherte Juncker. Es solle keine Massenabschiebungen geben, teilten die EU-Chefs mit.

 

Davutoglu betonte, die zugesagte Finanzhilfe der EU in Höhe von bis zu sechs Milliarden Euro komme nicht der Türkei, sondern ausschließlich Flüchtlingen in seinem Land zugute. Wer den Pakt zwischen der EU und der Türkei kritisiere, solle einen anderen Vorschlag machen. «Es gibt keine bessere Option.»

 

Menschenrechtsorganisationen äußerten heftige Bedenken. «Die EU verkauft die Menschenrechte von Flüchtlingen an die Türkei. Im Grenzstaat Griechenland drohen nun Pro-forma-Verfahren mit anschließender Masseninhaftierung und Massenabschiebung», erklärte der Geschäftsführer von Pro-Asyl, Günter Burkhardt. Juncker und Tusk sicherten hingegen zu, europäisches und internationales Recht würden eingehalten.

 

Zur geplanten Aufhebung der Visumspflicht für Türken bei Reisen in den Schengen-Raum sagte Davutoglu, von den 72 Bedingungen habe sein Land 37 erfüllt. Er hoffe, dass die Türkei bis Anfang Mai alle noch offenen Punkte abarbeiten werde, damit die Visafreiheit wie vorgesehen bis Ende Juni in Kraft treten könne.

 

Ein besonders schwieriger Punkt war die Ausweitung der Beitrittsverhandlungen mit Ankara. Bis Ende Juni soll der Verhandlungsbereich 33 («Finanz- und Haushaltsbestimmungen») geöffnet werden.

 

Nach der Schließung der Balkanroute in Richtung Mitteleuropa sind in Griechenland mittlerweile gut 46 000 Migranten, teilte der Krisenstab der Regierung in Athen mit. Rund 12 000 von ihnen harrten im improvisierten Lager von Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze aus. Der griechische Innenminister Panagiotis Kouroumplis verglich das Camp mit dem NS-Konzentrationslager in Dachau.

 

Zur Umsetzung der Gipfel-Absprachen sind Juncker zufolge 4000 Mitarbeiter erforderlich. Außer Griechenland sollten auch andere EU-Staaten, die EU-Grenzschutzagentur Frontex und die europäische Asylagentur EASO Personal stellen. «Der Gesamtkostenpunkt dieser Operation wird sich in den nächsten sechs Monaten auf 280 bis 300 Millionen Euro belaufen.» (DPA)