Der ehemalige VW-Konzernchef Martin Winterkorn hat laut einem Medienbericht rund eineinhalb Jahre vor dem Auffliegen der Diesel-Affäre eine technische Einschätzung zu den auffälligen Abgasproblemen angefordert. Das berichtete die «Bild am Sonntag» («BamS») unter Berufung auf eine angebliche Aussage Winterkorns bei der Befragung durch die US-Anwälte von Jones Day. Die Kanzlei ermittelt im Auftrag von Europas größtem Autobauer, wie es zu dem Skandal um weltweit elf Millionen manipulierte Dieselfahrzeuge kommen konnte.
Volkswagen wollte sich zu den angeblichen Untersuchungsergebnissen nicht äußern und verwies auf den für die zweite Aprilhälfte angekündigten Zwischenbericht von Jones Day.
Laut «BamS» las Winterkorn im Mai 2014 einen Hinweis auf die Unregelmäßigkeiten und bat seine Techniker um Erklärung. Die hätten ihm versichert, das Problem sei lösbar. Dieser Darstellung zufolge wurde die Wurzel des Skandals schon im Frühling 2014 zu einem Vorgang für den Vorstandschef, der das demnach auch registrierte und reagierte. Der Konzern hatte hierzu am Mittwoch nur mitgeteilt, dass «nicht dokumentiert» sei, ob und inwieweit Winterkorn die Notiz zur Kenntnis nahm. Weiter unklar bleibt aber, ob er das Thema schon zum damaligen Zeitpunkt anders hätte einschätzen müssen.
Winterkorn soll den Ermittlern von Jones Day laut «BamS» gesagt haben, er habe seine Sorgfaltspflicht nicht verletzt. Winterkorns Handeln ist auch relevant für die Frage, ob der Konzern die Finanzwelt möglicherweise zu spät über das Ausmaß der Probleme informierte. Diverse Anleger sehen sich um Geld gebracht und klagen.
Am vergangenen Mittwoch hatte Volkswagen über den Tenor seiner Klageerwiderung per Pressemitteilung berichtet. Die Einschätzung in dieser Mitteilung bleibe unverändert, sagte ein Konzernsprecher. «Volkswagen ist überzeugt, die kapitalmarktrechtlichen Anforderungen vollumfänglich erfüllt zu haben.»
Ein Sprecher der Muttergesellschaft Porsche SE sagte der Finanz-Nachrichtenagentur dpa-AFX: «Wolfgang Porsche und die Familie stehen fest hinter Herrn Pötsch und Herrn Müller.» Damit stärkte er demonstrativ dem Aufsichtsratsvorsitzenden Hans Dieter Pötsch und Vorstandschef Matthias Müller den Rücken.
In seiner Mitteilung vom Mittwoch hatte VW auch bekanntgegeben, der Vorstand habe seit Ende August 2015 gewusst, dass es sich bei der Manipulations-Software nach US-Recht um ein verbotenes Programm handelte. Der Konzern hatte schließlich am 22. September in einer Pflichtmitteilung an die Finanzwelt informiert, dass weltweit elf Millionen Autos betroffen sind, und stellte 6,5 Milliarden Euro für die Kosten der Affäre zurück.
Der Zeitpunkt dieser sogenannten Ad-hoc-Mitteilung war auch im Konzernvorstand nicht unumstritten, wie zu hören ist. Ein juristisches Gutachten stützte aber schon im Herbst 2015 die Vorgehensweise der Unternehmensspitze, wonach zunächst für mehr Klarheit beim Ausmaß des Skandals gesorgt werden sollte.
VW-Pkw-Chef Herbert Diess betonte indes in einem Interview mit der «Wolfsburger Allgemeinen Zeitung» (Samstag), die Kernmarke rund um Golf und Passat habe großen Nachholbedarf. Die Schwestermarken Seat und Skoda hätten schon kräftig aufgeholt, und Audi sowie Porsche stünden blendend da. «Die Marke Volkswagen muss dagegen noch einiges tun, um in den nächsten Jahren profitabler zu werden. Nur so können wir uns die Zukunft leisten.» Das Rekordwachstum von VW-Pkw in China habe die Probleme überstrahlt, sagte Diess. (DPA)