Sie messen die Schlafdauer oder den Blutdruck, zählen die Schritte und werten Informationen zur Ernährung aus. Laut einer Studie des IT-Verbands Bitkom zeichnet bereits jeder dritte Deutsche Gesundheitsdaten per App, Fitness-Armband oder Computer-Uhr auf. «Jeder von uns wird so ein Gerät haben». Das prophezeite der Chef der Techniker Krankenkasse (TK), Jens Baas, kürzlich in einem Zeitungsinterview. Gehört die digitale Vermessung des Menschen längst zum Alltag? Verbraucherschützer und Patientenvertreter schlagen Alarm.
Und auch Justizminister Heiko Maas sagt: «Kein Mensch darf zum Objekt eines Algorithmus werden.» Das Thema liegt ihm persönlich am Herzen, denn der SPD-Politiker ist passionierter Triathlet. «Für mich ist das ein guter Ausgleich, eine Möglichkeit, mich abzureagieren». Beim Laufen, Schwimmen oder Radfahren nutzt er selbst die sogenannten Wearables - kleine Computer-Geräte, die direkt am Körper getragen werden.
Natürlich sei es interessant, beim Blick auf das Handgelenk nicht nur seine Zeit zu erfahren, sondern auch die Pulsfrequenz, sagt der Minister. Seine Daten speichere er und werte sie am Computer aus - «und ich hoffe, dass auch nur ich das auswerte», sagt Maas. Das mache er aber nur zur sportlichen Kontrolle und nicht für die Krankenkasse.
Damit ist der Minister nicht allein. Rund 80 Millionen Menschen in 20 Ländern haben sich beispielsweise bei der inzwischen zu Adidas gehörenden Sport-App Runtastic registriert. Allerdings sind andere Bürger großzügiger als Maas, wenn es um die Weitergabe ihrer Daten geht: Laut der Bitkom-Umfrage würden ein Drittel Gesundheitsdaten an Krankenkassen geben, etwa um im Gegenzug Vorzüge zu erhalten.
Der Konzern Generali kündigte bereits vor längerem an, für seine Berufsunfähigkeitsversicherung Daten über Fitness und Lebensstil sammeln zu wollen. Dabei würden Kunden, die ihr gesundes Leben per App dokumentierten, Gutscheine und Rabatte bei Prämien gewährt.
Die TK macht sich für eine elektronische Patientenakte stark, in der klassische medizinische Werte, aber auch Daten von Fitness-Trackern enthalten sein können. Der Vorteil? «Wir können über das Risiko einer Erkrankung informieren, wenn wir die Krankheiten, den Puls, das Ausmaß der Bewegung und so weiter zusammen analysieren», sagte TK-Chef Baas der «Süddeutschen Zeitung». Und die DAK-Gesundheit bezuschusst Smartwatches und Fitness-Tracker. Voraussetzung dabei: Die Geräte müssen mit einer entsprechenden App ausgestattet sein und der Kunde muss die Dokumentation seiner Gesundheitswerte belegen.
Geht der Trend also zum gläsernen Menschen? Die Versicherungen versichern, der Kunde sei weiterhin Herr über seine Daten. Doch die Skepsis ist da. Laut einer vom Verbraucherministerium in Auftrag gegebenen YouGov-Studie befürchten viele Risiken bei der Nutzung von Wearables oder Apps. 39 Prozent sehen demnach die Verwendung durch Dritte als Problem. Jeweils ein knappes Drittel fürchtet falsche Messwerte oder falsche Gesundheitsratschläge.
Niemand könne gezwungen werden, seine Fitness zu überwachen, betont Minister Maas. «Jeder hat das Recht auf eine analoge Welt.» Er wolle deshalb prüfen lassen, «die Verwendung bestimmter Gesundheitsdaten auf Grundlage des neuen EU-Datenschutzrechts einzuschränken».
«Wer gesund und fit ist, spekuliert auf Rabatte. Wer nicht mitmacht, ist schnell identifiziert und diskriminiert», kritisiert der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. Alte und kranke Mitglieder seien die Verlierer. Das stelle das Solidarsystem der gesetzlichen Krankenkassen auf den Kopf.
«Die neuen Apps und Wearables können einen extremen Nutzen entfalten», meint dagegen Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. «Für gesunde Menschen, länger gesund zu bleiben. Für Kranke, schneller gesund zu werden.» Bei der Medikamentennutzung könnten Apps hilfreich sein, etwa als Erinnerungsfunktion oder bei der Verträglichkeitsprüfung mit anderen Produkten.
Die Medikamenteneinnahme dürfe man nicht einer App überlassen, die irgendwelche Programmierer entwickelt hätten, hält Klaus Müller, Vorstand der Verbraucherzentrale Bundesverband, dagegen. «Gesundheits-Apps können das Leben von Patienten verbessern, aber auch Schaden anrichten.» Es sei Aufgabe der Politik, Standards für Qualität, Datenschutz und Datensicherheit zu entwickeln.
Bleibt die Frage, wie gut die Tracking-Angebote überhaupt sind. Die Stiftung Warentest untersuchte kürzlich zwölf Fitness-Armbänder etwa von Fitbit, Jawbone oder Xiaomi und verpasste nur zwei Modellen - beide von Garmin - das Qualitätsurteil «gut». In Sachen Datenschutz lobten kanadische Forscher der Universität Toronto unlängst die Computer-Uhr Apple Watch. In ihrer Studie mit acht Fitness-Trackern, sei die Apple-Uhr das einzige Gerät gewesen, das seine Netzwerk-ID ab und an per Zufall änderte. Die anderen hätten eine eindeutige ID gesendet, was eine Langzeit-Überwachung erlaube. (DPA)