Am 14. September 2015 erzitterte die Raumzeit: Zwei Schwarze Löcher in einer fernen Galaxie, rund 1,3 Milliarden Lichtjahre von der Erde, waren miteinander verschmolzen. Das kosmische Beben, das von diesem gewaltigen Ereignis ausgelöst wurde, passierte die Erde diesmal nicht unbemerkt wie sonst. In Nordamerika schlugen zwei gerade fertiggestellte Detektoren für sogenannte Gravitationswellen an - noch bevor ihre offizielle Beobachtungszeit überhaupt begonnen hatte. Damit lieferte das Ligo-Observatorium genau 100 Jahre nach der Vorhersage durch Albert Einstein den ersten direkten Nachweis von Gravitationswellen.
Die nobelpreisverdächtige Entdeckung schlägt ein neues Kapitel in Physik und Astronomie auf. «Es ist der Anfang dessen, was manche als Gravitationswellenastronomie bezeichnen», erläutert einer der Gründungsväter des Laser-Interferometer-Gravitationswellen-Observatoriums (Ligo), Prof. Rainer Weiss vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston. Supernova-Explosionen, kreisende Neutronensterne, verschmelzende Schwarze Löcher - vor allem solche massereichen Objekte lassen sich über Gravitationswellen beobachten.
Denn die Wellen entstehen Einstein zufolge immer, wenn Massen beschleunigt werden. Mit Lichtgeschwindigkeit breiten sie sich aus und stauchen und strecken den Raum. Auch ein hüpfendes Kind auf einem Trampolin erzeugt Gravitationswellen. Allerdings sind die viel zu schwach, um mit heutiger Technik messbar zu sein. Ligo lauscht mit Hilfe eines hochempfindlichen Lasersystems nach den Schwingungen aus dem All. Die Laser laufen im Inneren von zwei jeweils vier Kilometer langen, schnurgeraden Röhren, die im rechten Winkel zueinander angeordnet sind.
Passiert eine Gravitationswelle das Observatorium, ändert sich die Länge der beiden Röhren um winzige Beträge. «Die verschmelzenden Schwarzen Löcher haben die beiden Arme um maximal zwei Attometer gestaucht und gestreckt, das ist rund 1000 Mal weniger als der Durchmesser des Wasserstoffatomkerns», berichtet Bruce Allen, Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam und Hannover, wo dieses Signal zuerst bemerkt worden war.
Dennoch erschien das Signal klar und deutlich auf den Monitoren der Forscher. Dabei sollte Ligo, das aus zwei nahezu identischen Detektoren mit 3000 Kilometern Entfernung besteht, erst vier Tage später mit dem eigentlichen Beobachtungen beginnen. Die technischen Vorbereitungen waren gerade abgeschlossen. «Es war der erste Tag, an dem die Detektoren gleichmäßig stabil gelaufen sind», erzählt Prof. Karsten Danzmann, Max-Planck-Direktor aus Hannover.
So spektakulär der erste direkte Nachweis ist, ernsthaft gezweifelt hat kaum noch ein Forscher an der Existenz der Gravitationswellen. Für die Wissenschaftler sind daher die neuen Beobachtungsmöglichkeiten, die sich damit eröffnen, mindestens ebenso aufregend. «Wir haben nicht nur die Existenz von Gravitationswellen bewiesen, sondern auch von Doppelsystemen aus zwei Schwarzen Löchern. Zwei Entdeckungen auf einen Streich!», betont Allen. «Solche Doppel-Schwarze-Löcher lassen sich nicht auf anderem Weg als mit Gravitationswellen nachweisen, denn sie senden kein Licht oder andere elektromagnetische Strahlung aus», ergänzt Alessandra Buonanno, Direktorin am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam.
Das verschmelzende Doppelsystem vom 14. September haben die Forscher bemerkenswert genau analysieren können. «Die beiden Schwarzen Löcher hatten 29 beziehungsweise 36 Mal die Masse unserer Sonne. Das verschmolzene Schwarze Loch hat aber nur 62 Mal die Masse unserer Sonne», berichtet Allen. Nach Einsteins Masse-Energie-Äquivalenz E=mc2 wurden demnach drei Sonnenmassen in Form von Gravitationswellenenergie ins All abgestrahlt - und das in weniger als einer Viertelsekunde. «Dieses Objekt war kurzzeitig das energiereichste im ganzen Universum! Und trotzdem war es völlig dunkel», betont Danzmann.
Über derartige Objekte möchten die Gravitationswellen-Forscher künftig mehr herausfinden. «Nichts lenkt Gravitationswellen ab. Das heißt, wir können damit tief ins Innerste kosmischer Objekte blicken», erläutert Ligo-Mitbegründer Weiss. «Eine der aufregendsten Beobachtungen wäre eine Supernova. Mit Hilfe von Gravitationswellen könnten wir sehen, was wirklich im Herz so einer Sternexplosion vorgeht.» Gerüchtehalber hat Ligo bereits weitere Ereignisse erspäht. Das britische Wissenschaftsmagazin «New Scientist» vermutet mindestens drei Signale.
«Das ist mit Sicherheit der Beginn einer neuen Ära in der Astronomie», sagt Allen über den historischen Erfolg. «Einstein hat nicht geglaubt, dass man Gravitationswellen jemals nachweisen können wird, und er hat nicht an Schwarze Löcher geglaubt. Ich denke, er würde sich freuen, dass er in beiden Punkten unrecht hatte.» (DPA)