Stuttgart (dpa/lsw) - Psychisch angeschlagenes Personal, Reibungsverluste und Nachwuchs-probleme: Der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Ralf Kusterer, lässt kaum ein gutes Haar an der vor zwei Jahren gestarteten Polizeireform im Südwesten. «Die Reform war bei ihrer Einführung eine Operation am offenen Herzen eines gesunden Menschen. Zwei Jahre nach Einführung liegt auf dem OP-Tisch ein kranker Mensch», sagte Kusterer der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. Die Polizei habe massive Probleme, die dringend gelöst werden müssten.
An diesem Montag will Innenminister Reinhold Gall (SPD) Ergebnisse einer Studie über die umstrittene Strukturreform vorstellen.
Die Pläne Galls, 2017 und 2018 jeweils 1400 Anwärter einzustellen, reichen aus Sicht von Kusterer nicht aus. Er hält jeweils 1500 neue Beamte für notwendig und liegt damit auf Linie von Guido Wolf, dem CDU-Spitzenkandidaten zur Landtagswahl am 13. März.
Besonders hebt Kusteter auch die seit Einführung der Reform prekäre Lage in der Ausbildung von Polizeibeamten hervor. «Uns fehlen Räume und Personal, das die Anwärter ausbildet», sagte er. Vor der Reform gab es an allen fünf Standorten der Bereitschaftspolizei - Lahr, Biberach, Bruchsal, Böblingen und Göppingen - auch eine Polizeischule. Nun gibt es diese nur noch in Lahr und Biberach.
«Wir brauchen dringend weitere Standorte, und wir müssen sehr schnell in ein Liegenschaftsprogramm einsteigen», betonte Kusteter. Dazu schlug er vor, den ehemaligen Akademiestandort der Polizei nicht Flüchtlingen zur Verfügung zu stellen, sondern als Ausbildungsort für neues Personal zu nutzen. Die Zentren hätten noch den Charme der 1970-er Jahre: Dreibettzimmer, nur Etagenduschen und -toiletten. «Selbst Jugendherbergen sind besser ausgestattet», meinte der Gewerkschafter.
Nach den Silvesterübergriffen in Köln, Hamburg und Stuttgart will die grün-rote Regierungskoalition in Baden-Württemberg mehr Polizisten einstellen. 2015 waren es 800 Einstellungen. Diese Zahl soll in diesem Jahr auf 1100 Einstellungen wachsen und dann auf jeweils 1400 in den Jahren 2017 und 2018.
Der Polizeiberuf verliert laut Kusterer enorm an Attraktivität. Die Verantwortung dafür gab er der Politik. «Im Jahr 2015 gab es einen deutlichen Bewerberrückgang. Den erwarte ich auch für 2016», sagte er. Die Eingangsbesoldung sei um vier Prozent gekürzt worden, die Beihilfe bei der Gesundheitsvorsorge auf 50 Prozent. Damit sei der Polizeiberuf wenig interessant für gute Leute.
Wenn die Anwärter hörten, dass sie Hunderte von Kilometern zu Einsätzen fahren müssten, sei es ganz aus mit dem Interesse an diesem Beruf, bemerkte Kusterer. «Ein Großteil der Arbeitszeit verbringt der Polizeibeamte seit zwei Jahren sitzend im Fahrzeug», sagte er. Alles, was einer grünen Politik zugeschrieben werde, sei durch die Polizeireform ad absurdum geführt: Durch die langen Fahrtzeiten würden die Umwelt belastet und Unsummen für Sprit ausgegeben.
Eine Folge der Strukturreform ist laut Kusterer zudem, dass die Beamten des Kriminaldauerdienstes in den Polizeipräsidien am Ende ihrer Kräfte seien. «Immer nur Leichen sichten und beschlagnahmen bedeutet für die Kollegen eine enorme psychische Belastung», gab er zu bedenken. Früher sei diese Aufgabe auf mehrere Schultern verteilt gewesen. Bei der Reform, die zum Jahresbeginn 2014 in Kraft getreten war, wurden 4 Landespolizeidirektionen mit 37 Polizeidirektionen zu 12 Großpräsidien im Südwesten verschmolzen. (DPA/LSW)