Kinder haben gegenüber ihren Eltern Anspruch auf Unterhalt. Doch das Blatt kann sich auch wenden - dann müssen sie für ihre Mutter und ihren Vater zahlen. Denn im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) steht: Verwandte in gerader Linie sind einander unterhalts-pflichtig. «Rechtsethiker tun sich noch immer schwer damit, tragfähige Begründungen für die Gesetzgebung zu finden», erzählt Jörn Hauß, Fachanwalt für Familienrecht aus Duisburg. Denn anders als den Ehepartner können sich Kinder ihre Eltern ja nicht aussuchen. «Die Kinder haben wirtschaftliche Einbußen für etwas, das sie nicht verantwortet haben», sagt Hauß.
Doch Eltern kommen in der Rangfolge der Zahlungsverpflichtungen erst nach Kindern, Ehepartnern und Enkeln. Was Kinder zu dem Thema wissen sollten:
In welchen Fällen müssen Kinder überhaupt einspringen?
Grundsätzlich gilt: Eltern müssen genug Geld haben, um ihre Existenz absichern zu können. Ist dies gefährdet, müssen unter Umständen die Kinder in die Bresche springen. Sie sind zu Unterhaltszahlungen aber nur verpflichtet, wenn sie genug eigenes Einkommen oder ein gewisses Vermögen haben. Die Regelung gilt unabhängig vom Alter der Eltern und der Kinder.
Bevor das Sozialamt die Kinder aber mit Forderungen anschreibt, müssen Eltern alle eigenen Rücklagen aufbrauchen - sie dürfen maximal 2600 Euro als Vermögen behalten. Ausnahme: Wer ein Haus besitzt, muss es nicht verkaufen, wenn er selbst oder Angehörige darin wohnen, erläutert Martin Wahlers, Rechtsanwalt aus Darmstadt. Das Sozialamt könne die Immobilie aber mit einer Grundschuld oder Sicherungshypothek belasten, erklärt der Autor des Buches «Elternunterhalt: Kinder haften für ihre Eltern».
Was bedeutet die Situation für Familien?
In der Regel ist das für alle Beteiligten eine unangenehme Situation. «Für die meisten Kinder ist es ein großer Stressfaktor, gegenüber dem Sozialamt ihre finanziellen Verhältnisse offenzulegen», berichtet Hauß, dessen Kanzlei jährlich bis zu 800 Beratungen zu dem Thema durchführt. Haben Eltern mehrere Kinder, müssen alle ihr Einkommen angeben - denn die Zahlungsverpflichtungen werden zwischen den Geschwistern nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit aufgeteilt. «Das kann einige Illusionen einstürzen lassen, wenn man erfährt, wie viel etwa der Bruder gegenüber einem selbst verdient», sagt Hauß.
Wie viel müssen Kinder zahlen?
Das Sozialamt prüft zunächst die Einkommensverhältnisse der Kinder. Für mögliche Unterhaltungspflichten ist das bereinigte Nettoeinkommen maßgeblich. Belastungen wie Tilgungsraten für das Eigenheim werden in der Regel vom Einkommen abgezogen, erklärt Wahlers. Die Miete zählt nicht dazu.
Kindern steht außerdem ein Mindestselbstbehalt zu - der liegt für Alleinstehende bei 1800 Euro und für Eheleute bei 3240 Euro. Der Betrag wird vom bereinigten Einkommen abgezogen. Die Hälfte der verbleibenden Summe kann das Sozialamt als Elternunterhalt fordern. Wahlers gibt ein Rechenbeispiel: Liegt das bereinigte Einkommen bei 2900 Euro, geht davon der Selbstbehalt von 1800 Euro weg. Es bleiben 1100 Euro übrig - das Sozialamt kann vom Unterhaltspflichtigen also 550 Euro verlangen.
«In 95 Prozent der Fälle ist es kein Problem, die Extralast zu tragen», sagt Hauß. Ein schmerzhafter Einschnitt kann die Zahlungsverpflichtung jedoch für jüngere Menschen sein. Wer mit 30 Jahren anteilig für die Pflege des psychisch kranken Vaters zahlen muss, kann finanzielle Schwierigkeiten bekommen.
Wann müssen Kinder nicht zahlen?
Können Kinder Gewalt in der Erziehung nachweisen oder wurden sie zu Pflegeeltern abgeschoben, müssen sie in der Regel nicht zahlen. «Das akzeptiert meist schon der Sozialhilfeträger», beruhigt Hauß. Komplexer wird es, wenn Eltern dem Kind nicht, unzureichend oder verspätet Unterhalt gezahlt haben. Dann kann der Anspruch der Eltern auf Zahlungen vollständig oder teilweise verwirken, erklärt Wahlers.
Es sei denn: Der Elternteil konnte etwa aufgrund einer psychischen Erkrankung keinen Unterhalt leisten. Dann besteht der Anspruch weiterhin, wie der BGH urteilte ( Az.: XII ZR 148/09).
Entstehen Eltern Nachteile, wenn Kinder nicht zahlen können?
Nicht direkt. In Deutschland herrscht ein nahezu einheitlicher Pflegestandard - die Sozialkasse kommt dafür auf. «Ob das Kind dann 0, 200 oder 500 Euro Unterhalt dazu beisteuert, hat keinen Einfluss auf die Pflege», erklärt Hauß. Der Sozialhilfeträger zahlt aber höchstens den Mindestsatz, ergänzt Wahlers. Wer den Eltern mehr Komfort bieten will, müsse den Unterhalt komplett selbst übernehmen.
Ist das Vermögen der Kinder sicher?
Das kommt darauf an. Das Haus, in dem sie wohnen, ist geschützt. Ebenso das Auto, mit dem die Kinder zur Arbeit fahren. «Alles andere ist jedoch vakant», sagt Wahlers. Grundsätzlich wird das Vermögen der Kinder aber erst geprüft, wenn ihr Einkommen für die Unterhaltszahlungen nicht ausreicht. Den Kindern steht aber auch ein gewisses Vermögen zu - die genaue Höhe ist etwa davon abhängig, wie viel die Kinder etwa für die eigene Altersvorsorge brauchen.
Hauß schätzt das Risiko, dass Kinder mit ihrem eigenen Vermögen für den Unterhalt einstehen müssen, insgesamt als «sehr, sehr gering» ein. Deshalb sei es auch nicht nötig, für den Fall der Fälle Rücklagen zu bilden. Der Fachanwalt rät: Jeder - Eltern wie auch Kinder - sollte aber für das eigene Alter vorsorgen.
Literaturtipp:
Günther Dingeldein / Martin Wahlers: «Elternunterhalt. Kinder haften für ihre Eltern», Ratgeber der Verbraucherzentrale, 12,90 Euro (E-Book: 9,99 Euro), ISBN-13: 978-3-86336-622-3.