Analyse: Gabriels Köln-Grätsche aus der Karibik

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel auf den Platz der Revolution in Havanna. Foto: Kay Nietfeld
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel auf den Platz der Revolution in Havanna. Foto: Kay Nietfeld

Vom Atlantik weht eine Brise über den Malecón. Gleich hinter der weltberühmten Ufer-promenade von Havanna erhebt sich das imposante Hotel Nacional de Cuba in den Nachthimmel. Einst logierten hier amerikanische Mafiabosse. Jetzt sitzen Gabriel und sein Kumpel, der Musikmanager Dieter Gorny, in Korbsesseln und rauchen Cohibas. Der 74-Prozent-Parteichef kann die Abwechslung gut gebrauchen. Vor Weihnachten hatte ihn seine SPD bei der Wiederwahl auf einem Parteitag böse abgestraft.

Da kam Gabriel der 51-Stunden-Trip in die Karibik gelegen, um die Innenpolitik mit Flüchtlingskrise, Koalitionszank und nörgelnden Genossen kurzzeitig auszublenden. So jedenfalls sah der Plan aus, den Gabriel dann über Bord wirft, vielleicht werfen muss. Eigentlich gilt: keine Innenpolitik im Ausland. Angela Merkel hält sich eisern an diesen Grundsatz.

 

Doch in Berlin kocht die Debatte nach den Kölner Übergriffen hoch, an denen auch Flüchtlinge und Asylbewerber beteiligt gewesen sein sollen. Die Kanzlerin und die Union zeigen Härte, fordern schärfere Gesetze. Die SPD gerät unter Zugzwang. Gabriel will die Flanke schließen. Per Interview über die mitreisende «Bild»-Zeitung verschärft er aus Havanna die SPD-Linie in der inneren Sicherheit deutlich.

 

Kriminelle und verurteilte Asylbewerber will er in ihre Heimat abschieben, notfalls auch syrische Bürgerkriegsflüchtlinge. «Ich glaube, dass der alte Satz von Gerhard Schröder: «Kriminelle Ausländer haben in Deutschland nichts zu suchen», dass der natürlich richtig ist», sagt Gabriel in der Altstadt von Havanna in die Kameras. Bei schärferen Gesetzen werde die SPD bei Bedarf dabei sein. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann formuliert da am Freitag deutlich zurückhaltender. Gut abgestimmt geht anders.

 

Widerspenstige Staaten, die niemanden zurücknehmen wollen, droht Gabriel gar mit dem Ende von Entwicklungshilfe. Das ist starker Tobak. Die Linkspartei ätzt schon, Gabriel wolle sich wohl mit CSU-Chef Horst Seehofer und der AfD einen Wettstreit liefern, «wer es schafft, das gesellschaftliche Klima am meisten zu vergiften», meint Fraktionsvize Jan Korte. Wie Gabriel auf die Idee komme, Flüchtlinge einen Strafvollzug im «Folterstaat Syrien» zuzumuten, «ist einfach nur abstoßend».

 

Als durchaus riskant stellt sich nun Gabriels Terminplanung heraus, nach dem für ihn desaströsen Parteitag auf Kuba-Expedition zu gehen, während im frostigen Berlin die SPD-Bundestagsabgeordneten in einer Klausur ohne ihren Parteichef zur inneren Sicherheit beraten. Eine Absage der Reise wegen Köln und den Folgen hatte Gabriel nicht in Betracht gezogen.

 

Schließlich ist er der erste Bundeswirtschaftsminister seit 15 Jahren, den es wieder zu den Castros verschlägt. Die bewegen sich, wenn auch sehr langsam. Seit die Kubaner, die 70 Prozent ihrer Nahrung importieren müssen, aus der Not heraus die historische Feindschaft mit Washington begraben haben, boomt der Tourismus, kommen mehr Devisen in die chronisch klamme Staatskasse.

 

Gabriel hat 60 Unternehmer mitgenommen, die versuchen wollen, die schikanöse kubanische Bürokratie aus Sowjetzeiten zu bezwingen. Routiniert hält er die Managerschar bei Laune. Was die Schmach vom Parteitag in ihm angerichtet hat, weiß der 56-Jährige gut zu verbergen. In der Residenz des Botschafters kann Gabriel, der in seinem Jugendzimmer in Goslar ein Che-Guevara-Poster über dem Bett hängen hatte, den Geist der kubanischen Revolution atmen. Lange schüttelt er «Fidelito» die Hand. Der Sohn von Fidel Castro ist dem Übervater wie aus dem Gesicht geschnitten.

 

Ein Spitzenvertreter aus der Wirtschaft, der die Szene beobachtet, bricht eine Lanze für Gabriel: «Was beim Parteitag gelaufen ist, war schäbig und selbstzerstörerisch. Er reißt sich für die SPD und das Land den Arsch auf.»

 

Nun droht ausgerechnet die Integrationspartei SPD zum großen Verlierer der Flüchtlingskrise zu werden. Kommt die AfD im März in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt in die Landtage, dürfte die CDU der Nutznießer sein, die SPD aber in die Röhre gucken.

 

Und dann? Muss aller Voraussicht nach der lädierte Gabriel doch als Kanzlerkandidat ran, obwohl in der Führung einige nur auf sein Scheitern bei der Wahl 2017 warten. Im ARD-«Deutschlandtrend» ist Andrea Nahles bei der Beliebtheit gerade an ihm vorbeigezogen.

 

Genug Gesprächsstoff für das Wochenende (17./18. Januar), wenn sich die SPD-Führung ins brandenburgische Nauen zurückzieht. Gabriel will dort den Scheinwerfer auf die AfD richten. So baut er für den Wahlabend am 13. März vor. Seht her, die Kanzlerin und ihre CDU haben die Rechtspopulisten salonfähig gemacht, könnte dann Gabriels Verteidigungslinie lauten. (DPA)