«Science»: Gen-Schere ist Wissenschaftsdurchbruch 2015

Eine Allround-Schere für die Bearbeitung von Genen ist der wissenschaftliche Durchbruch des Jahres. Entwickelt hat sie unter anderem Emmanuelle Charpentier, die Direktorin am Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie ist. Foto: Peter Steffen
Eine Allround-Schere für die Bearbeitung von Genen ist der wissenschaftliche Durchbruch des Jahres. Entwickelt hat sie unter anderem Emmanuelle Charpentier, die Direktorin am Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie ist. Foto: Peter Steffen

Eine Allround-Schere für die Bearbeitung von Genen ist nach Einschätzung des Fachmagazins «Science» der wissenschaftliche Durchbruch des Jahres: Die Crispr genannte Technik ermöglicht es, das Erbgut sämtlicher Organismen - Bakterien, Tiere, Pflanzen und Menschen - effektiv zu verändern. Während zuvor jeweils spezialisierte Werkzeuge kreiert werden mussten, funktioniert Crispr mit der immergleichen Schere, die zusammen mit zwei einfachen Molekülen eine bestimmte DNA-Stelle findet. Entwickelt hat sie unter anderem Emmanuelle Charpentier, die seit 1. Oktober Direktorin am Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie ist.

 

Mit Crispr können Forscher Gene ausschalten, defekte durch korrekte DNA-Teile ersetzen oder neue Gensequenzen einfügen. Das einfache und preisgünstige Verfahren ist drei Jahre alt und bereits zwei Mal in Verbindung mit anderen Gen-Techniken auf der Liste.

 

In diesem Jahr hätten nun gleich drei Studien das Potenzial von Crispr verdeutlicht, begründet «Science» den ersten Platz: So etwa der Ansatz, Insekten derart zu verändern, dass sie keine Krankheiten mehr übertragen können. Viel Kritik ernteten hingegen chinesische Forscher, die mit Crispr einen Embryo gentechnisch verändert hatten.

 

Deren Hauotautor Junjiu Huang wird vom Fachmagazin «Nature» dennoch zu den Top Ten der Forscher 2015 gezählt. Er sieht laut «Nature» seine Arbeit auch als Warnung, dass die Methode (noch) alles andere als sicher ist. Bei drei folgenden von «Science» gekürten Arbeiten hat «Nature» unabhängig davon den Teamleiter gekürt.

 

Weitere Durchbrüche des Jahres (ohne Rangfolge):

 

ERKUNDUNG DER ZWERGPLANETEN: Hier gibt es gleich zwei Premieren: Die Sonde «Dawn» der US-Raumfahrtbehörde Nasa besucht mit Ceres im März den ersten Zwergplaneten im Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter. Im Sommer passiert die «New Horizons»-Mission der Nasa den Eiszwerg Pluto am Rand unseres Sonnensystems. Die Sonden schicken Daten und Bilder von Kratern, Gebirgsketten, Eisbergen - die Auswertungen werden noch Jahre dauern. Der Nasa-Planetenforscher Alan Stern wurde wegen der Mission auch vom Fachmagazin «Nature» zu einem von zehn bedeutendsten Forschern des Jahres ernannt.

 

EIN VORFAHR DER INDIANER: Eine Genanalyse klärt die umstrittene Herkunft des etwa 8500 Jahre alten «Kennewick-Mannes»: Er ist tatsächlich eng mit amerikanischen Ureinwohnern im US-Bundesstaat Washington verwandt. Seit dem Fund 1996 streiten Indianer der Region und Wissenschaftler um das Skelett - letztere wollen es erforschen, erstere sehen darin einen Urahnen und wollen ihn rituell bestatten. Die Studie bestätigt auch, dass die amerikanischen Ureinwohner direkt von Asiaten abstammen, die vor etwa 15 000 Jahren die Beringstraße überquerten.

 

DOPPELCHECK FÜR PSYCHO-STUDIEN: Psychologen setzen zur Ehrenrettung ihres Faches an. Weil sich seit 2011 zahlreiche psychologische Studien als fehlerhaft und nicht reproduzierbar erwiesen haben, überprüften 270 Psychologen 100 Studien. Nur 39 Prozent bestehen den Doppelcheck. Künftig soll nun ein neuer, verbindlicher Kanon zum Studienablauf solche Schwächen verhindern. Hauptautor Brian Nosek gegründete mit Kollegen das Center for Open Science, das weitere Forschungsergebnisse prüfen soll, und gelangte so auch auf die «Nature»-Liste 2015.

 

EINE NEUE MENSCHENART: In einem verwinkelten Höhlensystem in Südafrika entdecken Forscher Hunderte Knochenteile einer vermutlich bisher unbekannten Menschenart. Der zierliche Homo naledi, Sternen-Mensch, hatte lange Beine und Füße, die denen heutiger Menschen ähneln, aber ein nur orangengroßes Gehirn und stark gebogene Finger - vermutlich zum Klettern. Sein genaues Alter ist noch unklar.

 

RIESIGE MAGMAKAMMERN TIEF IM ERDMANTEL: Seit Jahrzehnten streiten Geologen darüber, ob große Magmakammern, «Plumes» genannt, tatsächlich 3000 Kilometer tief ins Erdinnere hinabreichen oder von Reservoirs näher an der Erdoberfläche befüllt werden. Jetzt haben Geophysiker mit Hilfe neuer computergestützter Messtechniken 28 «Plumes» gefunden, die bis zum Boden des Erdmantels hinabreichen. Sie sind mit bis zu 800 Kilometern dreimal so breit wie zuvor angenommen.

 

IMPFUNG GEGEN EBOLA: Die fieberhafte Suche nach Medikamenten und Impfstoffen im Kampf gegen Ebola zeigt einen Erfolg: Ein Impfstoff, der zumindest in einer ersten Studie in Guinea zu 75 bis 100 Prozent wirkt. Forscher der Kanadischen Gesundheitsbehörde haben VSV-ZEBOV aus einem ungefährlichen Virus entwickelt, in das sie Ebola-Gene für Oberflächenproteine setzten.

 

SCHMERZMITTEL-PRODUZIERENDE HEFE: US-Forscher haben Hefe-Stämme biotechnisch verändert, so dass sie aus Zucker Opioid-haltige Schmerzmittel produzieren können. 21 zusätzliche Gene, unter anderem von der Mohnblume, schaltete die Hefe an, um den Mohn-Wirkstoff Thebain zu erzeugen. Die Hefe als Medizin-Fabrik muss allerdings noch effizienter werden. Christina Smolke von der kalifornischen Universität Stanford wurde wegen der Arbeit auch von «Nature» geehrt.

 

LYMPHSYSTEM IM GEHIRN: Im Sommer entdecken Forscher durch Zufall, dass das Lymphsystem - ein Netz von Gefäßen zum Transport von Schadstoffen und Immunzellen - auch das Gehirn umfasst. Bei Versuchen mit Mäusen finden sie in deren Gehirnen ungewöhnliche T-Helferzellen sowie Gefäße, die sich als Verlängerung des Lymphsystems erweisen. Auch für den Menschen bestätigt sich dieser Fund. Zuvor ging man davon aus, dass das Gehirn eine eigene, vom Rest des Körpers abgeschottete Immunabwehr besitzt.

 

FERNWIRKENDE TEILCHEN: Ein Schlupfloch der Quantenmechanik ist gestopft: Physikern gelingt es, die schon von Albert Einstein beschriebene «spukhafte Fernwirkung» zweier Quantenteilchen nachzuweisen. Bislang hatten Messungen noch Ausnahmen zugelassen. Die Fernwirkung beschreibt die Verbindung zweier Quantenteilchen, die zunächst beide einen unbestimmten Zustand haben. Wird eines der Teilchen jedoch gemessen, nimmt es sofort einen bestimmten Zustand ein und das Gegenteilchen automatisch den entgegengesetzten Zustand - in diesem Fall waren Elektronen 1,3 Kilometer entfernt. (DPA)