Es schmerzt fast, diesen beiden Frauen zuzusehen, wie sie sich da im Salon eines New Yorker Nobelhotels bei Mineralwasser und Eclairs gegenübersitzen. Die eine wohlfrisiert, elegant, erfahren und doch völlig verunsichert und nervös an ihrem teuren Armband spielend. Die andere sehr viel jünger, eine gewisse Naivität ausstrahlend und sich sichtlich unwohl fühlend, ebenfalls verunsichert. Das Unbehagen ist greifbar. Wenig später wird ein junger Mann die Jüngere zu einer Party locken.
Die Ältere, mütterlich-wohlwollend und doch tief enttäuscht, ermuntert ihre Freundin dazu. Es dauert knapp zwei Stunden, bis Todd Haynes diese Szene in seiner Patricia-Highsmith-Verfilmung «Carol» auflöst - die Ungewissheit bleibt auch dann.
Cate Blanchett spielt diese High-Society-Lady mittleren Alters, die in den frühen 1950er Jahren in Scheidung von ihrem wohlhabenden Mann Harge (Kyle Chandler) lebt. Früh ahnt man, dass die Beziehung Carols zu einer anderen Frau dazu geführt hat, aber nicht nur. Die Liebe ist erloschen - oder war niemals wirklich da. Rooney Mara, mit frappierender Ähnlichkeit zu Audrey Hepburn, ist das junge Mädchen Therese, Verkäuferin in der Spielzeugabteilung eines Nobel-Kaufhauses, unerfahren und doch selbstsicher, die ihre Leidenschaft zur Fotografie längst entdeckt hat, wenn auch noch nicht auslebt.
In diesem Kaufhaus ist es auch, wo sich die beiden Frauen zum ersten Mal begegnen. Bevor sie auch nur ein Wort wechseln, treffen sich ihre Blicke, denen beide lange standhalten. Dann erst fragt Carol nach einem passenden Weihnachtsgeschenk für ihre vierjährige Tochter. Schnell lässt sie sich von Therese zu einer Eisenbahn überreden, hinterlässt die Lieferadresse und - versehentlich oder beabsichtigt - ihre Handschuhe auf dem Tresen. Therese zögert nicht lange und schickt diese an ihre Besitzerin.
Carol will sich mit einem Mittagessen bedanken. Wieder ist diese kühle, mitunter fast arrogante Frau erstaunlich nervös in Gegenwart der jungen Therese. Und trotzdem entwickelt sich eine Freundschaft zwischen diesen beiden unterschiedlichen Frauen. Eine Freundschaft, die von knisternden Anziehung und einer tiefen Verbundenheit geprägt ist.
Todd Haynes lässt sich viel Zeit und gönnt seinem Kameramann Edward Lachman und den beiden fabelhaften Darstellerinnen lange Einstellungen: von dem großen, knallrotgeschminkten Mund Carols, Zigaretten zwischen fein manikürten Händen, schimmernden Pelzmänteln, den beiden Gesichtern Carols und Thereses. Und doch bleibt eine gewisse Distanz zu den Figuren. Dazu tragen möglicherweise auch die meist von Carol rauchig-geraunten bedeutungsschweren Sätze bei. «Ich habe mir nur genommen, was du bereit warst zu geben», sagt sie etwa zu Therese, als diese sich Vorwürfe macht, für den Sorgerechtsstreit zwischen Carol und deren Mann mitschuldig zu sein.
Denn als Harge von der Freundschaft der beiden erfährt und schnell eine Beziehung vermutet, setzt er zu einem erbitterten Streit um die kleine Tochter an. Dieser eskaliert, als er einen Privatdetektiv auf Carol ansetzt, der die beiden Frauen in dem Motelzimmer abhört, in dem es zur ersten sexuellen Annäherung kommt. Carol will um ihre Tochter kämpfen und lässt sich auf ein Scheindasein ohne Therese ein - zunächst zumindest.
Nach «Dem Himmel so fern» (2002) widmet sich Haynes erneut der Prüderie, der Doppelmoral und den damit verbundenen Ressentiments und Repressalien der 50er Jahre in den USA. Doch auch wenn Carol das Sorgerecht für ihre Tochter aus moralischen Gründen abgesprochen wird, bewegen sich die beiden Frauen erstaunlich frei in der Gesellschaft. Vielmehr gehen sie recht offen mit ihrer Beziehung um. Zugleich wünscht man sich, dass sich die kühle Jägerin Carol und das anfänglich scheue Reh Therese öffnen, nicht nur still leiden. Doch vielleicht ist das gerade die subtile Unterdrückung der prüden McCarthy-Ära, in der die beiden Frauen ihre Liebe versuchen zu leben. (DPA)