«Jetzt stellen Sie sich doch nicht so an!», «Gehen Sie wieder arbeiten!» oder «Wechseln Sie doch den Arbeitgeber!» So oder ähnlich sollen Krankenkassen-Mitarbeiter Versicherte am Telefon immer wieder bedrängt haben, wieder in den Job zu gehen statt weiter Krankengeld zu beziehen. So zweifelhaft solche Mittel auch sind, erscheint es wenig verwunderlich, wenn die Kassen in dem Bereich auf die Kostenbremse drücken wollen. Denn gegen das ständige Ausgabenwachstum beim Kranken-geld scheint seit Jahren kein Kraut gewachsen.
Ein neues Gutachten im Regierungsauftrag zeigt, warum die Kosten hier explodieren - und was dagegen getan werden könnte.
Das Thema rückte in den vergangenen Jahren immer wieder durch Berichte der Unabhängigen Patientenberatung (UPD) in die Öffentlichkeit. Patienten suchten demnach beispielsweise immer wieder Rat, nachdem sie sich von Kassen-Mitarbeiter, sogenannten Fallmanagern, gedrängt fühlten, wieder zu arbeiten.
Seit Jahren geht es ständig nach oben mit den Krankengeldausgaben - bis zu einem Rekord von 10,6 Milliarden Euro im vergangenen Jahr. 1,8 Millionen Fälle gab es 2014. Um herauszufinden, woran der Anstieg liegt und ob etwas dagegen getan werden kann, hat Gesundheitsminister Hermann Gröhe das Gutachten in Auftrag gegeben. Der Sachverständigenrat für das Gesundheitswesen zeigt nun auf, dass ein Großteil der Steigerungen gar nicht von den Kassen beeinflussbar ist. Die Hälfte des Anstiegs geht darauf zurück, dass die Beschäftigung und die Löhne gestiegen sind - und auch immer mehr Ältere arbeiten.
Aber auch die steigende Krankheitslast macht sich laut der Studie bemerkbar. So geht ein großer Teil der Kosten auf Depressionen und Rückenschmerzen zurück. Allein die «depressive Episode» macht bei Frauen fast ein Viertel der Ausgaben aus, bei Männern knapp 17 Prozent. Auch ähnliche psychische Störungen schlagen stark zu Buche, ebenso Rückenschmerzen.
Versuchen die Kassen deshalb oft mit zweifelhaften Methoden, die Patienten zur Rückkehr an den Arbeitsplatz zu drängen? Die Regel ist das offenbar nicht. Von den gut 9200 Beratungsgesprächen zum Thema waren laut dem UPD-Monitor 2015 rund 13 Prozent Beschwerden, die anderen wollten in der Regel aber einfach nur Rat. Die Medizinerin Marion Haubitz vom Sachverständigenrat sagt: «Es wird sicher Fälle geben, bei denen sich Patienten bedrängt fühlen.» Doch meist würden die Anrufe von den Fallmanagern der Kassen eher positiv gesehen - etwa wenn es darum geht, wie Betroffene an einen Reha-Antrag kommen.
Was könnte nun helfen, die Krankengeldkosten besser in den Griff zu kriegen? Einige Vorschläge der Sachverständigen zielen auf eine bessere Versorgung psychisch Kranker ab. Am spektakulärsten aber ist der Vorstoß für ein Teil-Krankengeld.
Es könnte so laufen, dass sich Patient und Arzt darauf einigen, dass der Betroffene zum Beispiel zu 75 Prozent krank und zu 25 Prozent gesund ist. Er würde also noch zu 25 Prozent arbeiten und einen entsprechenden Anteil des Lohns bekommen - der Rest käme von der Krankenkasse. Die Forscher führen Schweden als Beispiel an, wo die Arbeitnehmer mit Krankschreibung in regelmäßigen Abständen geprüft werden.
Ein bisschen krank als Ausweg? Führt das die Krankenkassen nicht erst recht in Versuchung, zum Ein-bisschen-Arbeiten zu drängen? Die Forscher meinen, das Ganze solle im Konsens mit den Betroffenen festgelegt werden - und könnte den Arbeitnehmern sogar mehr Flexibilität geben. Immerhin: In ganz Skandinavien gebe es solche Modelle inzwischen. In Deutschland hingegen kennt man Ähnliches nur, wenn Patienten gegen Ende einer Krankheitsphase wieder arbeiten - und nach dem sogenannten Hamburger Modell schrittweise wieder einsteigen. In so einer Rückkehrphase zahlt dann noch die Kasse.