Glatte Oberflächen, alles aus einem Guss, die Form folgt der Funktion - was noch vor kurzem als das Nonplusultra bei der Einrichtung galt, hat ausgedient. Heute gibt es nicht mehr den einen Einrichtungsstil. Kombiniert wird, was gefällt. Stile, Materialien und Texturen werden ebenso vermischt wie Neues mit Altem, Gekauftes mit Geerbtem, nicht zu vergessen mit Flohmarktfunden. Das ist der neue Landhausstil.
Ein Symbol dafür ist die Obstkiste: Wohl kaum ein Objekt hat einen so inflationären Einsatz vom Restaurant über Bars, stylischen Shops und Cafés bis ins Wohnzimmer erlebt, und das wahlweise auf dem Boden stehend oder an der Wand hängend. Da hat sich ein fast bäuerliches Retro-Objekt zum angesagten Trend-Regal gemausert.
Das alles hat nach Ansicht von Trendforschern einen Grund: «Auf der einen Seite sehnen wir uns nach Fortschritt, Technik und moderner Optik, aber wir möchten es dabei nicht mehr unterkühlt oder steril in unseren Räumen haben», sagt Wohnexpertin Gabriela Kaiser aus Landsberg am Lech. «Natürliche, warme Materialien wie Holz bringen Behaglichkeit. Und alte Muster sowie Optiken, teils mit neuen Techniken realisiert, erinnern uns an die gute alte Zeit, in der alles so schön gemächlich und heimelig war.» Beispiele dafür sind die Retro-Designs neuer Porzellantassen im Handel oder Dekorationen mit gedrucktem Kreuzstichmuster.
Der moderne Landhausstil ist ein Chamäleon und nicht auf eine Region einzugrenzen. Inspirationen kann man sich in Skandinavien holen, an der Ostküste der USA und in Ländern rund um das Mittelmeer. Allen gemeinsam ist eine gewisse Rustikalität, und sie zelebrieren die Mischung von bodenständiger Gemütlichkeit mit urbaner Reduktion.
Die Designerin und Wohnexpertin Katharina Semling rät zu eher hellen Farben. «Die Hölzer dürfen ruhig mal dunkler sein, aber das Gesamtambiente sollte hell wirken», erklärt sie. «Luftig, leicht und natürlich mit ein paar Ausreißern - das ist der moderne Landhausstil.» Solange diese Elemente überwiegen, man also bei Holz, Wolle und Stroh bleibt, und diese ebenso in sanften Nuancen wählt wie die Wandfarben, Stoffe und Teppiche, können sich ein Beistelltisch aus Chrom, eine moderne Leuchte oder ein avantgardistisches Gemälde dazugesellen. Das frischt den Stil auf.
Aber eine gewisse Stringenz braucht der Stil: «Wenn Omas Küchenbuffet Teil der Einrichtung ist, dann sollten sich in dem Raum noch ein oder zwei andere Kleinigkeiten finden, die ähnlich gestaltet sind», rät Semling. «Zum Beispiel ein antiker Bilderrahmen und vielleicht eine kleine Skulptur im selben dunklen Holzton wie das Buffet.»
Interessanterweise zieht sich der Wunsch nach authentischen Materialien und nach einer fast schon dörflichen Idylle durch alle Altersgruppen, Tendenz fallend. «Vor allem bei Jüngeren, die schon mit Smartphone und Tablet-Computer aufgewachsen sind, beobachten wir den Wunsch nach Gemütlichkeit und das Zurückholen von einem gewissen Zeitbezug, der in der Vergangenheit liegt», sagt Ursula Geismann vom Verband der Deutschen Möbelindustrie. «Sie mögen es nostalgisch, weich und verspielter als noch vor ein paar Jahren. Wir nennen das Neo-Biedermeier.» Und dieser Trend hat vor allem in Städten seine Gültigkeit. Möglicherweise ist der moderne Landhausstil beim Wohnen das, was «urban gardening» beim Gärtnern ist.