154 Minuten. Mehr Zeit ist nicht eingeplant. Zwei Debatten à 77 Minuten sollen den Abgeordneten reichen, um über den heiklen Einsatz von bis zu 1200 Soldaten gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zu beraten und zu entscheiden. Dabei ist es für viele nach den Mandaten für das Kosovo und Afghanistan der dritte Kriegseinsatz in der Geschichte der Bundeswehr - und der erste «eigene» Krieg in der zehnjährigen Kanzlerschaft von Angela Merkel.
Die CDU-Chefin, bekanntlich keine Freundin von Kampfeinsätzen der Bundeswehr, hatte dem französischen Präsidenten François Hollande nach den Anschlägen in Paris «jedwede Unterstützung» zugesichert - mit der großen Mehrheit ihrer großen Koalition im Rücken.
Ohne die Empörung der Linksfraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht und der dringenden Bitte ihres Grünen-Amtskollegen Anton Hofreiter, das Ganze noch einmal zu überdenken, wäre die Debatte im Bundestag in einer Tonlage wie bei einem x-beliebigen Gesetz verlaufen. Selbst brisante Einsätze haben den Anschein von Normalität angenommen.
Dabei geht es um den aktuell größten Bundeswehreinsatz, zu dessen Beginn niemand weiß, wann und wie er enden wird. Wie tief wird Deutschland in die Kriege, Kämpfe und Krisen in Syrien und im Irak verstrickt? Kann es zu einer Eskalation mit Russland kommen? Werden wieder Bundeswehrsoldaten sterben? Kommen die westlichen Armeen ohne Bodentruppen aus? Steigt die Terrorgefahr in Deutschland?
Parlamentsarmee wird die Bundeswehr genannt, weil - weitgehend einzigartig in der Welt - die letzte Entscheidung über einen Militäreinsatz nicht bei der Regierung, sondern beim Bundestag liegt. Nato-Partner macht das immer wieder nervös, weil sie fürchten, dass Deutschland zu lange brauche, bis die Armee losmarschieren kann.
Es geht aber alles ganz schnell: Erst am Dienstag bekommen die Volksvertreter den Entwurf der Regierung, tags darauf gibt es die erste Lesung im Bundestag. Schon am Freitag stimmen 445 von ihnen dafür, 145 dagegen und 7 enthalten sich.
Die kleine Opposition von Linken und Grünen hatte am Morgen noch die Verlängerung der Beratung beantragt. Ohne Erfolg. SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold freut sich, dass damit der Verdacht beseitigt sei, der sogenannte deutsche Parlamentsvorbehalt könnte Einsätze verzögern. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Linken, Petra Sitte, klagt dagegen: «Wir wollen uns eben als Opposition nicht im Tornado-Tempo in den Krieg ziehen lassen.»
Britta Haßelmann, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, schimpft, die große Koalition nehme weder die Bundeswehr noch die Abgeordneten ernst. Union und SPD hätten mehr Widerstand befürchtet, wenn länger nachgedacht worden wäre. Vor allem von Sozialdemokraten, deren Parteichef Sigmar Gabriel in der nächsten Woche einen Parteitag bestehen müsse. Fast ein Sechstel der SPD-Abgeordneten stimmt dann auch mit Nein. Bei der Union sind es zwei Mitglieder. Drei Grünen- Politiker stimmen wiederum mit Ja, die Linken geschlossen dagegen.
Merkel ist anwesend, aber nicht als Rednerin vorgesehen. Was sie umtreibt, bleibt an diesem Tag verborgen. Auch sie muss vor Weihnachten noch einen Parteitag bewältigen. Die Union hat zwar kaum Probleme mit dem Syrien-Einsatz, aber dafür mit Merkels Kurs in der Flüchtlingskrise. Untrennbar mit dem Bürgerkrieg in Syrien verbunden.
Nun werden bald deutsche «Tornado»-Aufklärungsflieger über Syrien fliegen. Auch ein Tankflugzeug, das längere Angriffsoperationen ermöglichen soll. Die Fregatte «Augsburg» soll einen französischen Flugzeugträger schützen.
Redner von Union und SPD verweisen auf die zeitgleichen internationalen politischen Bemühungen um einen Waffenstillstand zwischen der Armee von Machthaber Baschar al-Assad und den anderen in Syrien kämpfenden Truppen, eine Übergangsregierung ohne Assad und um einen anschließenden Friedensprozess bei weiterem Kampf gegen den IS. Grüne und Linke beklagen, dass es kein spezielles Mandat der Vereinten Nationen für den Einsatz gibt.
Wagenknecht erinnert daran, dass auch 14 Jahre nach den Terroranschlägen auf die USA die islamistische Gewalt nicht bekämpft ist. Sie mahnt: «Sie bekämpfen den IS damit nicht, sondern machen ihn nur noch stärker.» Und: «Wollen Sie wirklich in einen Wettstreit treten, wer sich aufs Morden besser versteht?»
Das hält CDU-Mann Johann Wadephul für eine «schlimme Entgleisung». Wagenknecht ruft noch: «Bomben schaffen keinen Frieden.» Und Rainer Arnold entgegnet «Aufklärungsflieger sind kein Beitrag zum achtlosen Bombenkrieg.» Sie dienten vielmehr dazu, «präzise militärisch arbeiten zu können».
In solchen Debatten fällt immer wieder auf, wer etwas wie sagt. Von den Koalitionspolitikern sprechen nur wenige von «Kriegseinsatz». Und «präzise militärisch arbeiten» bedeutet im Grunde nichts anderes, als dass die Luftwaffe für Staaten, die in Syrien Angriffe fliegen, Ziele markiert. Also nicht selbst bombt, aber Hinweise gibt, wo genau Bomben auf mutmaßliche IS-Stellungen abgeworfen werden könnten. In der Hoffnung, dass es keine Unschuldigen trifft. Damit hilft Deutschland zu töten. Aber möglichst präzise. (DPA)