Die großen Militärmächte USA, Russland, Frankreich und Großbritannien suchen in dieser Woche nach einem Bündnis gegen den Terror des Islamischen Staates (IS). Im Mittelpunkt steht der französische Präsident François Hollande, dessen Land durch die Anschläge von Paris tief erschüttert wurde. Hollande wird am Dienstag (24.11.) in Washington mit US-Präsident Barack Obama sprechen, zwei Tage (26.11.) später in Moskau mit dem russischen Staatschef Wladimir Putin. Schon am Montag (23.11.) kommt der britische Premierminister David Cameron nach Paris.
70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg könnten sich erstmals wieder die vier Alliierten zusammenschließen, die Nazi-Deutschland besiegt haben. Es sind auch vier der fünf Vetomächte im UN-Sicherheitsrat vertreten - nur China fehlt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will sich am Mittwoch (25.11.) in Paris mit Hollande abstimmen. Doch von einem militärischen Beitrag Deutschlands gegen den IS ist noch nicht die Rede.
Die vier Oberbefehlshaber lassen bereits Luftangriffe gegen den IS fliegen - am entschlossensten dieser Tage Hollande und Putin, Cameron einstweilen nur im Irak. Doch ob eine neue Allianz gegen den Terror zustande kommt ist offen. Alte Konflikte sitzen tief. Jeder der vier Politiker ist mit einer anderen innenpolitischen Lage konfrontiert.
Hollande immerhin hat nach den Terroranschlägen von Paris die Tür geöffnet für zuvor kaum denkbare Koalitionen. Der Kampf gegen den IS ist für den 61-Jährigen zum beherrschenden Thema geworden. Dafür werden Konflikte der jüngeren Zeit in den Hintergrund geschoben.
So haben Frankreich und Russland einen diametral entgegengesetzten Blick auf den syrischen Machthaber Baschar al-Assad. Für Moskau ist er ein Verbündeter, in Paris wird er als Schlächter des eigenen Volkes verachtet. Als es 2013 um syrische Chemiewaffen ging, wollten Hollande und seine Regierung offensiver vorgehen als Washington.
Zwischen Kremlchef Putin und Hollande war über Monate hinweg eine andere Rechnung offen: Wegen der Moskauer Ukraine-Politik stoppte Hollande die Auslieferung von zwei Kriegsschiffen der «Mistral»-Klasse. Monatelang wurde um die teuren Hubschrauberträger gerungen, bis Frankreich den Kaufpreis zurückzahlte.
US-Präsident Barack Obama wird intern und extern Schwäche gegen den Islamischen Staat vorgeworfen. Der Präsident gibt sich als jemand, der im Sturm der Anschläge kühlen Kopf bewahrt. «Wir haben eine Strategie, und daran halten wir fest», lautet seine Botschaft.
Das Dumme ist nur, zumindest aus Sicht seiner innenpolitischen Gegner: Die Strategie funktioniert nicht. Selbst unter Obamas Demokraten wird die Forderung erhoben, zumindest die Zahl der Luftangriffe schnell zu erhöhen. Präsidentschaftsbewerber Jeb Bush und andere Republikaner gehen einen Schritt weiter und wollen das, was Obama strikt ablehnt: US-Bodentruppen in Syrien.
Auch Frankreich hätte sich nach den Anschlägen von Paris eine andere Botschaft aus dem Weißen Haus erhofft. Hollande will in seinem «Krieg gegen den Terror» Stärke zeigen, auch wenn diese Haltung «sicherlich auch innenpolitisch zu betrachten» ist, wie US-Experten mutmaßen. Und das Stärkezeigen funktioniert dauerhaft nicht ohne die USA. Dass dann Putin auf den Zug aufsprang und Frankreich kurzerhand zu seinem militärischen Verbündeten in Syrien erklärte, ist für Obama in der Außenwirkung eine Pleite: Andere machen seinen Job.
In der Sache ist Russlands Engagement dagegen hochwillkommen. «Wenn das ein Trend wird und weitergeht, dann glauben wir, ist das die konstruktivste Rolle, die Russland spielen kann. Dann sind sie Teil dessen, was wir tun als Koalition gegen den IS», sagt Ben Rhodes, Sicherheitsberater des Weißen Hauses. Auch Verteidigungsminister Ashton Carter hieß Russland im Kampf gegen den IS willkommen. Russland könne durchaus zu einem «US-geführten Bündnis beitragen».
Damit hat Putin eins seiner Ziele erreicht, seit er Ende September die ersten Luftangriffe in Syrien befahl: Die USA müssen wieder mit Russland reden. Mit dem Bombenattentat auf den Ferienflieger über dem Sinai ist Russland aber selbst zum IS-Ziel geworden. Es hat allen Anlass, den Terror zu fürchten. Wenn Frankreich, Deutschland, Belgien und andere westliche Länder mit Hunderten kampferprobter Syrien-Heimkehrer rechnen müssen, sind es für Russland Tausende.
Unter US-Führung wird das Nicht-Nato-Mitglied Russland aber wohl kaum in Syrien kämpfen wollen. Bei einer politischen Lösung beharrt Moskau immer noch darauf, dass der Weg über Assad führen muss. Der ist für die anderen nicht mehr tragbar. Außerdem schwelt der Konflikt zwischen Russland und dem Westen wegen der Ukraine weiter. Beim G20-Gipfel in der Türkei sagten von Obama über Merkel bis Cameron alle westlichen Führer Putin, dass die Ukraine nicht vergeben und vergessen ist.
Der Brite Cameron möchte Einsätze der Royal Air Force auf Syrien ausweiten, braucht aber die Zustimmung des Parlaments dafür. Vor zwei Jahren hatten die Abgeordneten ihn schon einmal abblitzen lassen. Auch diesmal kann der konservative Regierungschef nicht auf alle Abgeordneten des eigenen Lagers zählen. Zur Hilfe kommen könnten ihm Abweichler der Labour-Partei, die gegen den pazifistischen Kurs ihres neuen Vorsitzenden Jeremy Corbyn opponieren. (DPA)