Der Verein «Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation» (GGBO) stellt die Arbeits-bedingungen in deutschen Gefängnissen an den Pranger. «In der Haft herrschen vorwilhelminische Arbeitsverhältnisse», sagt Bundessprecher Oliver Rast. «Wir sind der Meinung, dass soziale Mindeststandards auch hinter Gittern gelten müssen.» Die Interessenvertretung fordert den gesetzlichen Mindestlohn auch für Gefangene sowie ihre Einbeziehung in die Sozialversicherung. «Die Rentenfrage ist zentral», sagt Rast. Rast gründete die GGBO im Mai 2014 in der Berliner JVA Tegel als nicht rechtsfähiger Verein. Er beruft sich auf das Grundrecht der Koalitionsfreiheit. Und seine Organisation gewinnt Zulauf. Die Interessenvertretung zählt nach eigenen Angaben mittlerweile 850 inhaftierte Mitglieder, davon 150 im Südwesten.
«Die Entwicklung ist derart rasant, dass wir Schwierigkeiten haben, die Kampagnen der Inhaftierten zu flankieren und zu unterstützen», sagt Rast.
Es sei in der Vergangenheit immer wieder versucht worden, Gewerkschaften zu gründen, aber das sei nicht vergleichbar mit der GGBO. «Was den Ausdehnungsgrad und die Organisation anbelangt ist das ein Novum», sagt Rast. Der Verein versuche derzeit, seine Strukturen zu regionalisieren.
Die Arbeit in den Haftanstalten gilt allgemein als wichtiges Element der Resozialisierung. Rast sieht das aber anders: «Das staatliche sanktionierte Dumping ist keine Wohltat, sondern Ausdruck von Ausbeutung.» Gefangene verdienten im Schnitt zwischen 8 und 15 Euro am Tag. Dem Gewerkschaftsverein ist die geringe Bezahlung ein Dorn im Auge, vor allem weil Gefangene für ganz normale Betriebe produzierten. «Die Knastwirtschaft ist integraler Bestandteil der regionalen Industrie», sagt Rast. «Unternehmen schöpfen gerne Arbeitskraft von Inhaftierten ab - knapp oberhalb vom Nulltarif.»
Gerade im Südwesten würden in vielen Haftanstalten Kunststoffkomponenten für die Automobilindustrie produziert. «Die Haft gilt in der Betriebslandschaft als verlängerte Werkbank, um Aufträge abzuleisten.» Gefängnisse würden mit den Potenzial an Kosteneinsparungen bei Firmen werben. «Als ob eine Sonderwirtschaftszone existiert, völlig sozialabgabenfrei.»
Die Justizministerkonferenz befasste sich im Sommer mit der Frage, ob auch Gefangene in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden sollen, wie das baden-württembergische Justizministerium mitteilte. Das werde geprüft. Der Mindestlohn aber gelte nicht für Gefangene. Denn aus Sicht des Staates handelt es sich bei der Tätigkeit hinter Gittern nicht um richtige Arbeit. «Bei der Arbeit und Ausbildung von Gefangenen handelt es sich um eine resozialisierungsorientierte Behandlungsmaßnahme, die vorrangig dem Ziel der beruflichen Wiedereingliederung dient», so ein Sprecher.
Bei der Diskussion müsse auch berücksichtigt werden, dass die Gefangenen etwa unentgeltlich Verpflegung und kostenlosen Zugriff auf umfangreiche Betreuungs- und Freizeitangebote erhalten. Im Jahr 2014 erwirtschafteten Gefangene im Südwesten zwar Umsatzerlöse von rund 31 Millionen Euro. Die Beschäftigung sei nach Angaben des Ministeriums aber «bei sachgerechter Kostenbewertung defizitär».
Das Ministerium sieht den Vorstoß der Gewerkschaft zurückhaltend. «Weil - anders als bei echten Gewerkschaften - über die interne Struktur der «Gewerkschaften» und die demokratische Legitimation ihrer «Sprecher» keinerlei Erkenntnisse vorliegen», betont ein Sprecher. Gewerkschaften im klassischen Sinn könne es schon deshalb nicht geben, weil die Gefangenen nicht in einem freien Arbeitsverhältnis stehen, sondern der Arbeitspflicht unterliegen.
«Wir sind realpolitisch genug, um zu wissen, dass das in Etappen erfolgen wird», sagt auch Rast zur Forderung nach dem Mindestlohn hinter Gittern. Trotzdem würden immer mehr Inhaftierte in dem Gewerkschaftsverein aktiv. Die aktiven Gefangenen stoßen laut Rast auf Widerstand. Hinter Gittern würden sie teils unter Druck gesetzt, mit verstärkter Postzensur, Zellenrazzien, Zwangsverlegungen.
Oliver Rast saß selbst dreieinhalb Jahre in der JVA Tegel. Der 43-Jährige arbeitete in der Buchbinderei, stellte Büromaterialien in Handarbeit her. Für 11 Euro am Tag, wie er sagt. In Tegel sei auch die Bestuhlung für das Berliner Abgeordnetenhaus hergestellt worden. «Da wird ein realer Mehrwert produziert. Ich habe den Eindruck, dass die Abgeordneten bequem sitzen.» (DPA/LSW)