Istanbul (dpa) - Spektakulärer Erfolg für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan: Seine islamisch-konservative AKP hat bei der Neuwahl zum Parlament überraschend die absolute Mehrheit zurückerobert und kann künftig wieder alleine regieren. Erdogan hatte diese zweite Wahl innerhalb von nur fünf Monaten angesetzt, nachdem die AKP im Juni die absolute Mehrheit verloren und keine Regierungskoalition zuwege gebracht hatte. Die Türkei gilt als Schlüsselland bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise, weshalb die Wahl auch in Berlin und Brüssel aufmerksam verfolgt wurde.
Nach Auszählung fast aller Stimmen kommt die AKP vorläufigen Ergebnissen zufolge auf knapp unter 50 Prozent - nach 40,9 Prozent bei der Wahl im Juni. Damit gewinnt sie 316 der 550 Sitze in der Nationalversammlung in Ankara, wie die Nachrichtenagentur Anadolu meldete. Nur knapp schaffte die pro-kurdische HDP die Zehnprozenthürde, sie zieht damit erneut in das Parlament ein.
Auf den zweiten Rang kommt die Mitte-Links-Partei CHP mit unverändert rund 25 Prozent der Stimmen, gefolgt von der ultrarechten MHP, die mit rund 12 Prozent und einem Verlust von vier Prozentpunkten zu den Verlierern der Wahl gehört. Die AKP hatte die ihr ideologisch oft nahestehenden MHP-Wähler massiv umworben.
Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu bedankte sich am Wahlabend für den spektakulären Sieg. «Ich bin Euch und meinem Volk Dank schuldig», sagte der AKP-Vorsitzende in seiner Heimatstadt Konya. «Das ist nicht unser Sieg, das ist der Sieg unseres Volkes.» Die Menge skandierte unter anderem «Allahu Akbar» («Gott ist groß») und «Die Türkei ist stolz auf Dich». Auf Twitter schrieb Davutoglu nach dem Wahlsieg: «Elhamdülillah...» («Gelobt sei Gott»).
Der Ko-Vorsitzende der HDP, Selahattin Demirtas, kritisierte: «Von einer gleichberechtigten Wahl kann keine Rede sein.» Wegen der Angriffe und Anschläge auf die HDP habe die Partei keinen Wahlkampf führen können. Dass sie dennoch erneut die Zehnprozenthürde überwunden hat, wertete Demirtas als Erfolg. Er kritisierte eine «Massakerpolitik» der politischen Führung in Ankara.
Bei der Wahl im Juni hatte die AKP ihre absolute Mehrheit erstmals seit Übernahme der Regierung im Jahr 2002 verloren. Dazu hatte wesentlich der überraschende Einzug der HDP ins Parlament beigetragen. Nach dem Scheitern von Koalitionsgesprächen hatte die Opposition dem Präsidenten vorgeworfen, dies herbeigeführt zu haben, um Neuwahlen zu erzwingen.
Der Wahlkampf war von Gewalt überschattet. Am Wahltag selbst wurden keine schweren Anschläge oder Gefechte gemeldet. Seit im Juli eine Waffenruhe zusammenbrach, eskaliert der Konflikt mit der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK wieder. Zudem wurde das Land von Anschlägen erschüttert. Beim schwersten Anschlag am 10. Oktober in der Hauptstadt Ankara wurden mehr als 100 Menschen getötet. Die Staatsanwaltschaft machte den IS verantwortlich, der sich allerdings nicht zu der Tat bekannte.
Nach Angaben des Innenministeriums waren am Sonntag 385 000 Sicherheitskräfte im Einsatz, um die Abstimmung zu schützen. Insgesamt waren rund 57 Millionen Staatsbürger wahlberechtigt. Die Wahlbeteiligung lag bei knapp 86 Prozent.
Das Wahlergebnis in der Türkei hat auch Bedeutung für die EU und für Deutschland. Die Türkei ist das wichtigste Transitland für Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa. Die EU drängt die Regierung in Ankara, ein Abkommen zur Rücknahme von Flüchtlingen möglichst bald in Kraft treten zu lassen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat der Türkei jüngst Finanzhilfen, Visa-Erleichterungen für türkische Bürger und Unterstützung bei den EU-Beitrittsverhandlungen in Aussicht gestellt.
Nach Einschätzung des europäischen Grünen-Chefs Reinhard Bütikofer sollte das Wahlergebnis in der Türkei von der EU sorgfältig unter die Lupe genommen werden. «Man wird genau hingucken müssen, inwieweit das in seinen Dimensionen doch überraschende Ergebnis einfach das Ergebnis einer Fehlprognose aller dortigen Demoskopen gewesen ist oder möglicherweise auch das Ergebnis von Manipulationen», sagte der Politiker am Sonntagabend der Deutschen Presse-Agentur. (DPA)