«I Got Rhythm»: Wie der Jazz die Kunst bewegte

Piet Mondrian, Komposition Nr.II mit Rot, Blau Schwarz und Gelb, 1929. Foto: Bernd Weißbrod
Piet Mondrian, Komposition Nr.II mit Rot, Blau Schwarz und Gelb, 1929. Foto: Bernd Weißbrod

Im Mittelpunkt ein Saxofon. Drumherum Nackte. Ein mondän-anrüchiger Salon mit Jazzband. Es gibt nur wenige Gemälde, die das Jazz-Zeitalter so sehr verdeutlicht wie Otto Dix' Triptychon «Großstadt» von 1927. Das Original hängt in der Sammlung des Stuttgarter Kunstmuseums, der Karton ist jetzt Teil der Ausstellung «I Got Rhythm. Kunst und Jazz seit 1920» (10. Oktober bis 6. März) - einem umfassenden Blick auf die Wirkung der Musik auf die Bildende Kunst. Und das seit rund 100 Jahren. 

Der Betrachter bekommt eine wahrlich ungewöhnliche Gelegenheit, sich die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts zu erschließen, wie Kurator Markus Müller sagt.


Auch Künstler wie Henri Matisse, Paul Colin oder K.R.H. Sonderborg beweisen sich im Stuttgarter Kubus als Jazz-Fans. Jeder auf seine Weise. Max Beckmann als passionierter Jazzhörer etwa widmete sein «Begin The Beguine» 1946 dem nicht immer massentauglichen Musikstil, wie Müller erzählt. Dix sei begeisterter Swingtänzer gewesen. In Sonderborgs Atelier soll meist Jazzmusik gelaufen sein. Und Piet Mondrian habe gar behauptet, so Müller, seine Abstraktionen seien quasi die Übersetzung des Jazz' auf die Leinwand.


Andy Warhol entwarf berühmte Plattencover. Seine Arbeiten symbolisieren zudem die Bedeutung des Musikstils als Synonym für den langen und blutigen Freiheitskampf der Afroamerikaner in den USA. «Jazz wurde zum Synonym für Freiheit und Demokratie», sagt Müller. Er sei identitätsstiftend gewesen für das Selbstverständnis der Afroamerikaner, doch der Alltag habe lange anders ausgesehen. Warhol dokumentiere das mit der Arbeit «Little Rock Riot», auf Werken anderer sind die Masken des rassistischen Ku-Klux-Klans zu entdecken.


Um 1900 entstand entlang des Mississippis eine neue Musik. Zum Zentrum des Jazz wurde New Orleans im Süden der USA. Louis Armstrong, Trompeter, Sänger und Entertainer, wurde dort geboren. Der US-Maler Jackson Pollock soll den Jazz und seinen abstrakten Expressionismus als die beiden großen - und einzigen - Kulturleistungen der USA bezeichnet haben. «Der Jazz hat Europa im Sturm genommen», so Müller.


Die 120 Kunstwerke von 62 Künstlern kommen aus 14 Ländern von 69 Leihgebern, wie Direktorin und Co-Kuratorin Ulrike Groos berichtet. «Es ist ein Millionen-Projekt.» Leihgaben kamen etwa von der Londoner Tate Gallery of Modern Art, vom Pariser Centre Pompidou oder dem Chrysler Museum of Art in Norfolk (USA). QR-Codes weisen an vielen Werken den Weg zur passenden Musik. Mal von Louis Armstrong, mal vom Lokalmatador Wolfgang Dauner oder von Miles Davis.


Ernst Ludwig Kirchners «Negertanz» schon von 1911 steht als Beleg dafür, wie der Jazz sich recht bald auf den Weg nach Europa machte. In den 1920er Jahren eroberte er in Europa Bars und Tanzsäle im Sturm. Zur Ikone absoluter Modernität wird auch hier die afroamerikanische Sängerin, Tänzerin und Schauspielerin Josephine Baker, die oben ohne und nur mit einem Bananen-Röckchen bedeckt im Schattenriss das Kunstmuseum ziert. Kurator Müller sagt: «Jazz war Sound der Zeit, Sound der Zukunft, Sound des Industriezeitalters.» (DPA)