Wirbel um Kopftuch-Model - mutig oder unverständlich?

Das Handout zeigt ein muslimisches Model, das in einem Werbevideo der Modekette H&M einen Hidschab trägt. Foto: H&M
Das Handout zeigt ein muslimisches Model, das in einem Werbevideo der Modekette H&M einen Hidschab trägt. Foto: H&M

Millionenfache Klicks, viele Medienberichte: ein kurzes Mode-Werbevideo von H&M sorgt für ungewöhnliche Aufmerksamkeit. In schnellster Bildfolge treten etwa ein Transgender auf, eine Seniorin im kurzen Röckchen, eine Sikh-Turban-Truppe, ein Übergewichtiger - und: eine Muslima. Und eben diese junge Schöne mit modischer Sonnenbrille und Minipiercing löst Wirbel aus, denn sie trägt ein Hidschab-Kopftuch. Die Resonanz ist groß. Auch wenn das in Zeiten, in denen das Kopftuch in Köln, Berlin, London längst zum Straßenbild gehört, manchen unverständlich erscheint.

Der Experte für sozialwissenschaftliche Marktforschung, Kai-Uwe Hellmann, sieht einen künstlichen Hype. Der Clip sei «ästhetisch glattgebügelt» und beinhalte kein echtes Statement. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Kopftuch, seiner Rolle oder mit dem Islam erwartet er nicht. Dem Hersteller - einem der weltweit größten Textilhandelsunternehmen mit rund 3500 Geschäften in fast 60 Ländern - gehe es nur um Absatzzuwachs. Die schmale Botschaft laute, in der Mode sei alles erlaubt. «Das ist eine Nulldurchsage.»


Manche denken an die sozialkritischen Werbekampagnen von Benetton - mit Schockbildern in den 90er Jahren oder an die provokativen Plakate mit küssenden Machthabern vor rund zehn Jahren zurück. Daran komme H&M bei weitem nicht heran, sagt Hellmann. Ebenso nicht an die Dove-Werbung gegen den Schlankheitswahn - mit den posierenden kräftig-runden Frauen.


Lamya Kaddor, Gründerin des Liberal-Islamischen Bunds, kann den Wirbel um das Hidschab-Model gut nachvollziehen: «Ja, ich verstehe die Aufmerksamkeit. Man schaut deshalb zweimal hin, weil man ein weibliches Muslim-Model nicht vermutet.» Damit würden nun gezielt auch fromme Muslime von der Modebranche angesprochen, meint Kaddor, die auch islamische Religion unterrichtet - und fragt: «Warum darf man sein Haupthaar nicht bedecken und dabei gut aussehen?»


Die Kette H&M wirbt mit dem Slogan «Verpasse nicht den Film, der alle Regeln bricht.» Auf dpa-Anfrage erklärt eine Sprecherin, es gehe um «den Bruch mit vermeintlichen Moderegeln». Der Clip solle die Vielfalt der Kunden widerspiegeln. Ein Model im Hidschab in der Mainstream-Mode sei eine Errungenschaft, meint das Magazin «Elle». In anderen Medien ist von Toleranz die Rede. Das in England lebende Modell erzählt in einem Interview von massenhaften Zuschriften. Viele wollten schlicht wissen, wie sie ihren Hidschab binde. Es gibt auch Kritik - so eine Stimme auf Facebook. Das mit dem Kopftuch-Model sei ja schön, aber: «Wenn es darum geht, in H&M zu arbeiten mit einem Kopftuch, kriegt man (...) nur Absagen.» .


Der Hidschab ist das islamische Kopftuch, das Haare, Hals und Ohren bedeckt, mitunter auch die Schulter. Viele muslimische Frauen tragen es selbstbewusst und aus Modegründen. Andere sehen das Kopftuch als Zeichen der Unterdrückung. Die Kölner Islamexpertin Lale Akgün kritisiert, dass H&M zwar Mode-Normen aufheben und hier Freiheit propagieren will. «Aber das islamische Kopftuch ist gerade das Gegenteil davon», sagt die frühere SPD-Bundestagsabgeordnete. «Der Hidschab ist in den Augen der orthodoxen Muslime kein Modeaccessoire, sondern eine religiöse Pflicht.»


Der Medienethiker Alexander Filipovic hält das Video nicht für einen Tabubruch, höchstens für etwas provokativ. «Mode ohne Regeln - das ist an sich nicht originell.» Die Kopftuch-Muslima sei damit in der Werbung hierzulande auch nicht neu erfunden worden. «Interessant ist dennoch, wie viele junge muslimische Frauen es offenbar bemerkenswert finden, dass sie hier repräsentiert sind. Das weist auf eine Leerstelle in unserer Medienwelt hin.» Eine Reflexion über das islamische Kopftuch erwartet auch Filipovic nicht. Er mahnt ganz grundsätzlich: «Hier, wie bei jeder anderen Kampagne, gilt: Wir sollten nicht auf die Werbung hereinfallen.» (DPA)