Die Suche nach dem Sinn der Mode

Eine fantasievolle Kreation von Stella Jean. Foto: Matteo Bazzi
Eine fantasievolle Kreation von Stella Jean. Foto: Matteo Bazzi

Warum zeigt Gucci Luxusmode in einem alten Industrieschuppen? Was sagen die Häppchen bei Prada über die Kollektion aus? Und wo ist das klare Statement zu den Geschehnissen, die derzeit die Welt bewegen? Vordergründig geht es auf den Mailänder Designer-Defilees um die Trends für die Saison Frühjahr/Sommer 2016. Aber insgeheim erhofft man sich doch ein bisschen mehr. Die Mode schweigt. Sie ist gar tot. Zu wenig Innovation, zu viel Verkaufsdruck. Und überhaupt diese Schauen: reine PR-Propaganda. 

Mit diesen Aussagen sorgte die renommierte Trendforscherin Li Edelkoort im Frühjahr für ein Beben in der Modewelt. Nur, hat sie Recht?


Sechs Tage Mailänder Modewoche. Zwölf Schauen am Tag. Dutzende Präsentationen drumherum. Und gleich zum Auftakt am Mittwoch eine schöne Überraschung: Die Mode von Stella Jean spricht.


Die friedliche Koexistenz der verschiedenen Kulturen ist ihr, der Tochter eines Italieners und einer Haitianerin, ein stetes Anliegen. Dieses Mal übersetzte sie die Emigrationsgeschichte der Italiener in fantasievolle Kreationen. Doch es geht ihr nicht nur um die Vergangenheit. «Wenn wir heute auswandern wollen, setzen wir uns in einen Billigflieger. Menschen aus anderen Regionen der Welt hingegen setzen ihr Leben aufs Spiel.» Solche Sätze bekommt man von Stella Jean aus dem Stand in den Notizblock diktiert.


Bevor Alessandro Michele seine neue Kollektion sprechen lassen kann, spricht man über ihn. «Gucci - Die große Wette» titelte gerade die Fachzeitschrift «TextilWirtschaft». Der Designer, seit Jahresbeginn im Amt, krempelt das Label komplett um. Es fängt schon beim Ort der Show an.


Mittwochnachmittag. Eine alte Fabrikhalle. Der Hinterhof. Sturzflutartiger Regen sucht Mailand heim. Das Zeltdach ist zwar dicht, aber die Seitenflanken sind offen. Vor Micheles Zeit saß man bei Gucci in einem Innenstadt-Theater. Dann die Mode: Er schichtet so viele Details und Inspirationen in einen einzigen Look, dass man während der Show leicht den Überblick verliert. Verträumt, intellektuell, exzentrisch sind Begriffe, die mit seiner Mode assoziiert werden. Das Problem: All das ist eigentlich nicht die klassische Gucci-Klientel. Wird er die Wette gewinnen?


Dann der späte Mittwochabend. Philipp Plein. Großes Spektakel garantiert. Man liebt seine Mode oder man hasst sie. Rock, Punk, Glamour, oft wahnsinnig plakativ. Eigentlich ein Paradebeispiel für die These von Trendforscherin Edelkoort. Doch dann das: Models, die über eine Art Laufband gleiten, Roboterarme, die den Models die Accessoires reichen. Eine starke Botschaft: der fremdbestimmte Mensch, seine Technik-Hörigkeit. Man trifft ihn überall in der Stadt: Blick aufs Smartphone und stur geradeaus.


Der Donnerstag beginnt mit Max Mara. Es geht um Seefahrt, sagt der Pressetext. Ein kurzes Stutzen. Aber gemeint ist dann doch Sindbad der Seefahrer - und nicht der Schlepper. Und so sieht man Caban-Jacken und Matrosen-Hosen, Streifen, große Sterne und Bullaugen-Drucke. Es fällt in diesen Zeiten nicht leicht, sich ganz unbedarft auf dieses Thema einzulassen.


Ein paar Stunden später, der Höhepunkt einer jeden Mailänder Modewoche. Was immer Prada entwirft, es inspiriert den Massenmarkt. Und, hoppla, das Kostüm ist wieder da! Das Thema war eigentlich durch. Ist Mode doch inzwischen ein individueller Mix aus Einzelteilen. Doch Miuccia Prada schwimmt ohnehin lieber gegen den Strom. Das macht sie so unersetzbar für die Mailänder Modeszene. Und dann geht man raus, greift sich am Buffet ein Häppchen: farblich geschichtet, umwickelt mit Folie. Eine essbare Kopie der gerade gesehenen Mode: Streifenmuster und Transparenz. So macht es Prada immer.


Am Freitag, Halbzeit der Mailänder Modewoche, tritt zum ersten Mal Giorgio Armani auf. Er zeigt seine Emporio-Kollektion, die Hauptlinie folgt am Montag. Im Juli vergangenen Jahres 80 geworden, in diesem Jahr der 40. Firmengeburtstag, ein Museum eröffnet, nun erscheint ein Buch. Der Mann ordnet sein Lebenswerk. Als er begann, war die Modewelt eine andere. Eine, der Li Edelkoort nachtrauert.


Armani hat die Mode einst neu erfunden, für die nächsten Revolutionen sind nun andere zuständig. Er bewegt sich auf sicherem Terrain. Eine frische Eleganz. Fließende Silhouetten, zarte Farben mit einem Schuss Pfirsich. Hauchdünnes Organza und sportives Neopren. Hier und da Einflüsse aus der Männermode: die Blazer, die Mäntel. Ansonsten viel nacktes Bein unter den Shorts.


Man würde danach gern noch ein wenig verweilen in den weichen Polstern von Armanis Showtheater (den bequemsten Sitzen der Mailänder Modewoche) und die Gedanken ordnen. Doch schon in einer halben Stunde beginnt das nächste Defilee. Und der Shuttle-Bus wartet nicht ewig. Noch bis kommenden Montag läuft die Mailänder Modewoche. (DPA)