FRANKFURT (dpa-AFX) - Der heftige Kursrutsch der VW-Aktien nach manipulierten Abgastests in den USA hat am Mittwoch zumindest vorerst ein Ende gefunden. Die Vorzugspapiere, die am Vormittag noch bis auf 95,51 Euro und damit auf den tiefsten Stand seit vier Jahren gefallen waren, erholten sich leicht. Es sind vor allem risikofreudige Anleger, die wieder zugreifen - in der Hoffnung, mit den angeschlagenen Volkswagen-Vorzügen womöglich nun ein Schnäppchen zu machen. Die Anteilsscheine stiegen bis Handelsschluss um 5,19 Prozent auf 111,50 Euro. Ihr Tageshoch bei 117,00 Euro konnten sie damit nicht halten. Hauptgrund war der am späteren Nachmittag angekündigte Rücktritt von Martin Winterkorn als Vorstandschef.
Laut Frank Schneider von Alpha Wertpapierhandel ist Winterkorns Schritt "zwar verständlich, trägt aber nicht zur Aufklärung bei und hilft damit auch nicht weiter". Zudem wird es vor Freitag keine
Entscheidung über die Nachfolge geben.
Und am drastischen Kurseinbruch seit Wochenbeginn ändert der heutige Kursanstieg auch nicht allzu viel: Rund ein Drittel hat VW trotz allem an Wert verloren. Anders ausgedrückt: In nicht einmal drei Tagen wurden etwa 23 Milliarden Euro vernichtet. Das ist ein Marktwert, den beispielsweise die beiden Versorger Eon und RWE nicht einmal zusammengenommen aufbringen. Zudem hat Daimler nun VW als bislang wertvollsten deutschen Autokonzern abgelöst, denn der Börsenwert des Stuttgarter Unternehmens liegt aktuell bei 71 Milliarden Dollar, der von VW (Vorzugs- und Stammaktien) bei rund 55 Milliarden Euro.
SPEKULIERT WIRD ÜBER EINE ÜBERTREIBUNG NACH UNTEN
"Der enorme Anstieg beim Handelsvolumen - am Montag und Dienstag lagen die Umsätze auf Xetra mit rund 1,7 Milliarden Euro deutlich über dem Sechsmonatsdurchschnitt von 290 Millionen Euro - zeigt deutlich, dass hier von einem Ausverkauf gesprochen werden kann", sagte Chartanalyst Franz-Georg Wenner vom Börsenstatistik-Magazin Index-Radar. Auch "größere Adressen" seien wohl ausgestiegen, schrieb er. Und das gebe inzwischen so manchem Börsianer Anlass zu "Spekulationen über eine Übertreibung nach unten".
Die Meinungen, ob dies tatsächlich der Fall ist oder nicht, sind allerdings sehr gespalten. Analyst Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler etwa sieht weiterhin ein kurzfristiges Rückschlagsrisiko für das VW-Papier sogar bis unter 90 Euro. Und ein Händler von der Oddo Seydler Bank sagte: "Ich bin schon sehr enttäuscht, da ich VW immer als Autobauer mit Top-Technologie und effizienten Motoren gesehen habe." Genau diese Enttäuschung bei Privatpersonen dürfte seines Erachtens nun zumindest in naher Zukunft ein Hindernis für die Wolfsburger darstellen, ihre Autos zu verkaufen.
DEUTSCHE BANK: 'EIN ALBTRAUM FÜR JEDEN INVESTOR'
Kein Wunder, dass Analysten von einem "Albtraum für jeden Investor" sprechen, so etwa Tim Rokossa von der Deutschen Bank. Zwar könnte der herbe Wertverlust von einigen Marktteilnehmern bereits wieder als Kaufgelegenheit wahrgenommen werden, vermutete er, doch das ganze Ausmaß des Emissionsskandals dürfte noch für längere Zeit nicht abzuwägen sein. "Die Geldbußen werden schmerzhaft sein und sind unmöglich zu quantifizieren, und womöglich werden sie über Jahre hinaus Thema bleiben", betonte er. Zudem verursache der Einfluss auf das operative Geschäft weitaus höhere Risiken auf der Einnahmenseite.
Commerzbank-Experte Sascha Gommel setzte sogar wegen der unübersichtlichen Lage angesichts des ganzen Ausmaßes des Skandals sein Anlageurteil samt Kursziel für die VW-Aktie komplett aus. Allerdings sieht er einen möglichen "Einstiegszeitpunkt für spekulative Investoren, während die anderen besser an den Seitenlinien abwarten sollten".
WEITERE ANALYSTEN STREICHEN IHRE KAUFEMPFEHLUNG
Weitere Experten reagierten wegen der zahlreichen Unsicherheiten und auch wegen des Imageschadens zudem mit Abstufungen. Neben Rokossa von der Deutschen Bank zählt zu ihnen auch JPMorgan-Analyst Jose Asumendi, der die Schadenssumme für den Konzern im schlimmsten Fall auf 40 Milliarden Euro bezifferte. Er sorgt sich allerdings nicht so sehr um den Rückruf von Dieselmotoren in den USA, sondern vor allem um die Auswirkungen in Europa, wo die weitaus meisten Dieselautos fahren. Langfristig jedoch hält er die VW-Papiere trotz des Skandals für eine gute Anlage./ck/stk/das/he
--- Von Claudia Müller, dpa-AFX ---