100 000 Flüchtlinge: Kretschmann fordert Entlastung

Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann (Grüne). Foto: S. Puchner/Archiv
Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann (Grüne). Foto: S. Puchner/Archiv

Baden-Württemberg nimmt in diesem Jahr nach einer neuen Prognose fast doppelt so viele Flüchtlinge auf wie bislang erwartet. Der Südwesten müsse sich auf annähernd 100 000 Asylbewerber einstellen, sagte Minister-präsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Dienstag beim Besuch einer Landeserst-aufnahmeeinrichtung (Lea) in Karlsruhe. Grundlage für die Schätzung sind neue Zahlen des Bundes. Das Land strenge sich an, die Überbelegung der Aufnahmeeinrichtungen zu mildern. 

«Der Plan ist, wir nehmen alles, was wir kriegen können», sagte Kretschmann zur Suche nach neuen Unterkünften. Bevorzugt würden nicht mehr genutzte Kasernen.


Der Chef der grün-roten Landesregierung will Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland Syrien aus dem überlasteten Asylverfahren herausnehmen. Für diese Menschen, die sicher ein Bleiberecht in Deutschland bekommen, sollte eine Kontingentlösung geschaffen werden, forderte der Grünen-Regierungschef. Er hoffe, dass sich Bund und Länder auf dieses Vorgehen einigen können.


Deutschland hat bereits ein Kontingent von Flüchtlingen aus Syrien aufgenommen. Zunächst hatte der Bund die Zahl auf zweimal 5000 begrenzt und später gemeinsam mit den Ländern weiter angehoben. Wesentlich mehr Menschen aus Syrien kommen jedoch nach Deutschland und beantragen Asyl. Kontingentflüchtlinge werden ohne Asylverfahren auf die Bundesländer verteilt.


Kretschmann kritisierte den Bund, weil er viel zu spät auf Hilferufe aus den Ländern reagiert habe und immer noch einen zu geringen Teil der Kosten trage. Außerdem liege der Schlüssel zur Minderung der drängenden Probleme beim Bund, der die Asylverfahren beschleunigen müsse. Im Durchschnitt sieben Monate bei immer noch 240 000 unbearbeiteten Fällen seien viel zu lang. «Die Verfahrensdauer ist der Dreh- und Angelpunkt.»


Der Stuttgarter CDU-Fraktionschef Guido Wolf sieht dagegen das Land in der Pflicht. «Dazu gehört, das Aufnahmeverfahren zu beschleunigen, die Zahl der Plätze in den Landeserstaufnahmeeinrichtungen massiv auszubauen und Asylbewerber ohne Bleibeperspektive konsequent in ihre Heimatländer zurückführen.» Außerdem müsse das Land die Kommunen bei der Schaffung von Wohnraum und der Integration stärker unterstützen.


Die Grünen-Fraktion in Stuttgart forderte verlässlichere Prognosen aus dem Bundesinnenministerium und mehr Personal beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.


Gemeinsam mit den Vize-Regierungschefs der anderen grün-mitregierten Länder lehnt Kretschmann eine Ausweitung der sogenannten sicheren Herkunftsländer vorerst ab. «Von der Idee, weitere Länder als sichere Herkunftsländer auszuweisen, sind wir nicht überzeugt», heißt es in einer gemeinsamen Erklärung, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Es gebe derzeit keine Erkenntnisse, dass diese Maßnahme im Falle von Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien eine signifikante Wirkung auf die Zahl der Anträge oder die Verfahrensdauer gehabt habe.


Kretschmann hatte in Begleitung der Karlsruher Regierungspräsidentin Nicolette Kressl und von Oberbürgermeister Frank Mentrup (beide SPD) drei Einrichtungen der Lea Karlsruhe besichtigt und dort mit Mitarbeitern und Flüchtlingen gesprochen. Er lobte das Engagement der Helfer, dämpfte aber angesichts wachsender Zahlen Hoffnungen auf rasche Erleichterungen. «Ich kann nicht versprechen, dass wir die Überbelegung schnell abbauen können.» Aktuell stehen in Baden-Württemberg 7000 reguläre Plätze in den Erstaufnahmeeinrichtungen zur Verfügung. Dazu kommen 4000 sogenannte Bedarfs- und Notplätze. Bewohnt werden die Unterkünfte aber von rund 17 000 Menschen.


In Tübingen hat der Aufruf von Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne), leerstehende Unterkünfte zur Verfügung zu stellen, inzwischen erste Angebote gebracht. Rund ein Dutzend Vermieter meldeten sich nach Angaben einer Sprecherin bei der Stadt und stellten Wohnraum zur Verfügung. (DPA/LSW)