Reutlingen will sich vom Landkreis lossagen

Reutlingen will eine kreisfreie Stadt werden. Foto: Wolfram Kastl/Archiv
Reutlingen will eine kreisfreie Stadt werden. Foto: Wolfram Kastl/Archiv

Reutlingen will sich nach jahrzehntelanger Diskussion von seinem Landkreis lossagen. Am 23. Juli will der Gemeinderat entscheiden, ob ein Antrag beim Land auf einen Stadtkreis gestellt wird - die Entscheidung dürfte für eine Trennung fallen. Stimmt der Landtag zu, wäre das laut Innenministerium die erste Auskreisung in Baden-Württemberg seit mehr als 70 Jahren. «Die letzten Auskreisungen waren 1939 Pforzheim und Baden-Baden», sagte ein Sprecher. Reutlingen wäre die zehnte kreisfreie Stadt in Baden-Württemberg. Es geht um Status und Geld.

Die Reutlinger Oberbürgermeisterin Barbara Bosch (parteilos) will sich vom Kreis trennen. «Das Gebilde passt nicht zusammen», argumentiert die Rathaus-Chefin. Im Moment sei Reutlingen die einzige Großstadt im Südwesten, die noch zu einem Landkreis gehört. «Wir wollen eine Gleichbehandlung», fordert Bosch. Die Kluft zwischen der rund 112 000 Einwohner großen Stadt und dem ansonsten sehr ländlichen Kreisgebiet ist der Stadtverwaltung zu groß. Als Großstadt werden Städte mit mehr als 100 000 Einwohnern bezeichnet.


Als Stadtkreis stünden große organisatorische und finanzielle Veränderungen an: Ein kreisfreies Reutlingen könnte von seinem neuen Status machtpolitisch profitieren. «Wir wollen das Recht, die Geschicke in der eigenen Hand zu haben», sagt Bosch. Verantwortung soll nach unten verlagert werden. Die Stadtverwaltung verspricht sich mehr Finanzzuweisungen vom Land als Ausgleich für die erhöhten Ausgaben einer Großstadt. «Wir haben dann 4,6 Millionen mehr in der Kasse», sagt die Bürgermeisterin.


Ein mehr als 130 Seiten langer Ergebnisbericht nahm die Folgen einer Auskreisung unter die Lupe. In der Stadt wird die Frage in den letzten Tagen vor der Abstimmung heiß diskutiert. Widerstand gegen das Unabhängigkeitsbestreben kommt vor allem aus dem Kreis. «Seit 42 Jahren gibt es den jetzigen Zuschnitt des Landkreises», beschwert sich der Reutlinger Landrat Thomas Reumann (parteilos). «Ich kann den Mehrwert beim besten Willen nicht erkennen.» Reumann sagt, er glaube nicht, dass eine kleine Großstadt und ein finanzschwächerer Landkreis die Zukunftsherausforderungen besser meistern könnten.


Auch nach Meinung des Kreisvorsitzenden der CDU Reutlingen wird der Rest-Landkreis unter der Trennung leiden. «25 Städte und Gemeinden haben dann weniger Zuweisungen», sagt Manuel Hailfinger. Wesentliche Fragen zu den Kosten und zur Zusammenarbeit zwischen Stadt- und Landkreis seien noch nicht geklärt, zum Beispiel wenn es um die Zukunft der Kreissparkasse, der Kreiskliniken, der beruflichen Schulen geht. Hailfinger fürchtet teure Doppelstrukturen in der Verwaltung und einen «Stadtkreis-Light». «Viele Aufgaben wird die Stadt nicht bewältigen können», sagt er.


Bundesweit gebe es ferner eine Tendenz zu größeren Kreisen. «Bei der Gebietsreform in den 70er Jahren hat man versucht, Exklaven abzuschaffen», sagt Hailfinger. Kleine Gemeinden wie Pliezhausen, Walddorfhäslach und Wannweil würden durch die Gründung eines Stadtkreises ihre Anbindung zum Landkreis verlieren.


Die Mehrheit im Gemeinderat ist nach aktuellem Stand trotzdem für eine Auskreisung. Der Landtag müsste über den Antrag entscheiden. Das Verfahren ist langwierig - es geht um Gutachten, Anhörungen, Modellrechnungen. Die Stadtverwaltung rechnet nicht damit, vor 2016 kreisfrei zu werden. Hailfinger glaubt nicht, dass die Auskreisung durch den Landtag geht. Auf Landesebene fürchte man Trittbrettfahrer, sagt er. «Ein solcher Separatismus könnte künftig etliche größere Städte betreffen.» (DPA/LSW)